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4. Juni 2008 (Bundespolitik)

Tagung zu Hartz IV & Wohnen : Wohnbudget statt Mietobergrenze?

Seit 2005 entfalten die "Hartz IV"-Reformen ihre ausgrenzenden Wirkungen auch auf dem Wohnungsmarkt. Im Mai trafen sich in Bochum Betroffenen- und MietervertreterInnen aus verschiedenen Städten, um über die Folgen und mögliche Gegenmaßnahmen zu beraten.

"Berlin ist die Hauptstadt der Zwangsumzüge", formulierte die Berliner Hartz IV-Expertin Anne Allex. Weil ihre Wohnungen für die engen "Angemessenheitsgrenzen" der Behörden zu teuer waren, mussten Hunderte Menschen in billigere Unterkünfte umziehen oder einen Teil der Wohnkosten aus dem knappen Regelsatz bezahlen.
Auch Leute, denen noch gar keine Kürzungen angedroht wurden, sehen das Damoklesschwert eines "Zwangsumzugs" über sich schweben. Viele ziehen in vorauseilendem Gehorsam um.
Nur ein Teil legt Rechtsmittel gegen zweifelhafte Kürzungen ein. Kein Wunder: Das Netz der Beratungsstellen ist dünn, und nur punktuell können ehrenamtliche Angebote wie das "Notruftelefon" für Zwangsumzüge helfen..
Gleichzeitig ist der Markt preisgünstiger Wohnungen in geeigneter Größe "dicht". Auch deshalb zahlen viele die "unangemessene" Miete teilweise aus dem Regelsatz. BeraterInnen berichteten, dass Belastungen dieses Existenzminimums mit 100 Euro keine Seltenheit sind. Miet- und Energieschulden nehmen zu. Die Zahl der Anträge auf die Übernahme von Schulden steigt, berichtete Allex. Die Stimmung unter den Betroffenen sei katastrophal.

Mieterproteste
Auch in Freiburg werden Unterkunftskosten nur begrenzt übernommen, und es fehlen günstige Wohnungen. Deshalb engagierten sich aktive Erwerbslose im erfolgreichen Bürgerbegehren gegen den Verkauf der städtischen Wohnungsgesellschaft "Stadtbau". Aber nach dem Sieg der BürgerInnen gab es einen neuen Mietspiegel. Und den nutzte die gerade gerettete "Wohnbau", um zahlreiche Mieterhöhungen zu begründen. Nun richtet sich der Protest gegen diese Erhöhungen. Hunderte Mieter wollen sie verweigern.
Große Proteste gegen "Zwangsumzüge" gab es in Bremen. Dort mobilisierte ein breites Netzwerk immer wieder mehrere hundert Menschen zu Aktionen und zu Protest-Besuchen kommunaler Gremien. Im Oktober 2007 beschloss die neue rot-grüne Koalition veränderte Regelungen für die Wohnkosten. Trotzdem liegen immer noch 2800 Haushalte oberhalb der Grenze. Die nächste Welle der Kostensenkungsaufforderungen kommt bestimmt.

Sozialgerichte setzen Standards
Weiter verbreitet als solche Proteste sind gerichtliche Klagen. Bei allzu harter Gangart der kommunalen Kostenträger haben die Betroffenen inzwischen die Rechtsprechung der Sozial-gerichte auf ihrer Seite. Aber immer noch halten sich viele Kommunen nicht an diese rechtlichen Standards.

Verordnung?
Wer die Hoffnung hegte, dass diese Probleme durch eine im SGB II mögliche Verordnung des Arbeitsministeriums gelöst würden, sieht sich seit Januar eines Besseren belehrt. Der Bundesrechnungshof und die CDU wollen die Verordnungsermächtigung dazu benutzen, angeblich zu "großzügige" Regelungen auszuhebeln. Angegriffen wird z. B. eine verlängerte Schonfrist bei überschrittener Mietobergrenze in Berlin. (12 statt 6 Monate) Im Mai hat das Arbeitsministerium zwar eine differenzierte Stellungnahme abgegeben, und die Bundesländer lehnen eine Verordnung ab, aber der Spar-Druck aud die Kommunen wächst.

Alternativen
Vor diesem Hintergrund wurden auf der Bochumer Tagung mögliche Anforderungen an ein neues Gesetz zum "Recht auf Wohnen" diskutiert. Es sollte neben den "Zwangsumzügen" auch andere Probleme der Sozialgesetzgebung und der Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt lösen.
Unter anderem sollte es die Entmündigung der "Hartz IV"-Mieter aufheben. Diese können nicht selbständig durch Umzug auf eine miese Wohnsituation reagieren. Außerdem ist ihr Interesse an der Wahrnehmung von Mieterrechten, zum Beispiel an einer Mietminderung, nur noch begrenzt. Denn das eingesparte Geld muss zurück gezahlt werden. Vermieter nutzen diese Situation aus. Während gute Wohnungen nicht erschwinglich sind, werden schlechte Wohnungen zu erhöhten Preisen an "Hartzer" vermietet. So entstehen neue Arbeitslosen-Ghettos.
Ein Ansatz für die weitere Diskussion ist der Lösungsvorschlag eines "Wohnbudgets", das sich je nach lokaler Marktlage an durchschnittlichen Wohnkosten am Ort orientiert. Wenn die Erwerbslosen durch Wahrnehmung ihrer Mieterrechte, geringen Energieverbrauch usw. unter den Kosten bleiben, sollen sie den Rest behalten. Das stellt Erwerbslose wieder anderen BewohnerInnen gleich, erschwert leistungslose Mieterhöhungen und motiviert Staat und Kommunen finanziell zu einer sozialen Wohnungspolitik.
Die Diskussion wird fortgesetzt.


>>> Rechtsberatung für Mieterinnen und Mieter
 

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Arbeitsgemeinschaft der Mietervereine Bochum, Dortmund, Witten, Mietergemeinschaft Essen

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