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15. September 2008 (Bundespolitik)

Weg mit den Mietern!

Über dem Bochumer Osten kreist die Abrissbirne. Nur einen Steinwurf weit vom Küppers-Karree, dass vor Jahren um sein Überleben kämpfte, will NRW-Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter 68 Dienstwohnungen der JVA Krümmede abreißen, um Platz für eine sozialtherapeutische Anstalt zu schaffen. Und einen Kilometer weiter, an der Harpener Straße, verkauft die Stadt neun Wohnhäuser an Thyssen-Krupp mit dem erklärten Ziel, dass die Erwerberin abreißt. Worum geht‘s?

Auf der anderen Straßenseite vom Ruhrstadion, gegenüber dem Eingang B, hängt ein großes Transparent am Zaun: "Hände weg von unseren Wohnungen!" Es wird manchen verwundern, denn Wohnungen sind dort, zwischen Knast und Bereitschaftspolizei, nicht zu entdecken. Um sie zu finden, muss man einen Fußweg wählen - oder links in den Gersteinring abbiegen und dann noch einmal links Richtung Justizvollzugsanstalt.

Wenn man sich von dem roten "HALT! Behörderngelände der JVA Bochum - Befahren und Parken nur für Berechtigte" nicht abschrecken lässt, findet man, was in diesem Sommer in der Stadt für die meisten Schlagzeilen gesorgt hat: 12 Häuser mit 68 Wohnungen für Bedienstete der JVA, inzwischen aber zu zwei Dritteln belegt mit Ehemaligen und normalen Mietern. Die ältesten der Häuser stammen aus dem Jahre 1896, in den 50er- und 70er-Jahren wurde nachgebaut.

Wenn die Baustelle für ein neues Gebäude der Bereitschaftspolizei nebenan nicht wäre, wäre es richtig ruhig hier: Es gibt keinerlei Durchgangsverkehr, richtig viel Grün, alte Bäume, Spielplätze, Liegewiesen, Grillplätze - hier kann man Kinder noch ohne Angst vor die Tür lassen. Ein Idyll, auch wenn es vielleicht nicht jedermanns Sache ist, auf der einen Seite von den meterhohen Mauern des Knasts, auf der anderen Seite vom nicht weniger hohen Zaun des Polizeigeländes eingeschlossen zu sein.

Doch das Idyll ist bedroht. Das Justizministerium will die 80 Plätze der maroden sozialtherapeutischen Anstalt aus Gelsenkirchen hierher verlegen. Eine eigenständige Anstalt soll das werden, die aber Küche, Kleiderkammer und Fahrdienst, auch Sportstätten der JVA Krümmede mit benutzen könnte.

Kaum waren die Pläne mitten in den Sommerferien bekannt geworden, ging ein riesiges Spektakel los. Die Mieter organisierten sofort den Widerstand gegen ihre Vertreibung. Die Kommunalpolitik fühlte sich übergangen, weil sie nicht informiert worden war. Politiker unterbrachen ihren Urlaub, der Stadtentwicklungsausschuss kam zu einer Sondersitzung zusammen, verurteilte einhellig die Pläne. Die Krümmede-Mieter hatten jede Menge Prominenz zu Besuch.
Die Notwendigkeit einer sozialtherapeutischen Anstalt sah natürlich jeder ein, aber: nicht hier. Direkt gegenüber dem Veranstaltungszentrum, dem damals auch das Küppers-Karree weichen sollte, und am "Tor zur Innenstadt" wollte kein Bochumer Politiker eine fünf Meter hohe Mauer entlang der Castroper Straße stehen haben.

Schnell kam auch der Verdacht auf, die neue "Anstalt für Sextäter", wie sie in den Medien heißt, solle weit mehr als 80 Plätze bekommen. Kein Wunder: Auf einer gleich großen Fläche wie der, auf der die 12 Häuser stehen, gibt es auf der anderen Seite der Mauer 400 Haftplätze. Es wäre also Platz für sämtliche Sozialtherapie-Plätze NRWs. Würde es wirklich nur um 80 Plätze gehen, könnten die in der bestehenden JVA problemlos eingerichtet werden. 15 solcher Plätze gibt es bereits, und wenn man 80 "normale" Gefangene verlegte, wäre eine Ausweitung nicht nur kein Problem, sondern sogar billiger.

Ein Stückchen weiter Richtung Osten sind weitere Mieter von Abrissplänen betroffen. Doch das Bild ist ein ganz anderes. Grün ist es hier auch zwischen den Häusern, aber auch laut. Neun Häuser zwischen Buselohstraße und Sheffieldring gehören der Stadt. Sie sind in erbärmlichem Zustand, das Grün verwildert, die meisten Wohnungen stehen leer.

Der Haupt- und Finanzausschuss hat am 27. August beschlossen, die Grundstücke an die ThyssenKrupp Steel AG zu verkaufen, deren Werk unmittelbar angrenzt und die die Häuser abreißen will. ThyssenKrupp soll freie Hand für künftige Betriebserweiterungen bekommen, um dadurch den Betriebsstandort zu sichern. Unumwunden heißt es bei der Stadt, dass dadurch auch "Beschwerden oder Prüfungen von emissionsrechtlichen Angelegenheiten direkter Grundstücksnachbarn" vermieden werden sollen.

Einer dieser Nachbarn ist Rainer Biermann, Harpener Straße 71a. Er wohnt seit 30 Jahren hier. "Ich habe eine Menge Geld und Arbeit in die Wohnung gesteckt: Bad, Heizung, Dachausbau. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich so einfach hier weggehe."

Der permanente Lärm der unmittelbar angrenzenden NS 7 hat ihn nie gestört - er schläft sogar bei offenem Fenster. Eher ärgert ihn, was aus dem Quartier geworden ist: "Anfangs war es gut, hier zu wohnen. Aber dann wurde alles systematisch runtergewirtschaftet."

Bei der VBW, die die Häuser für die Stadt verwaltet, ist er kein Unbekannter, denn er hat sich jahrelang vergeblich für Verbesserungen eingesetzt. "Ich will kein Geld, wenn ich hier raus muss", sagt er. "Aber ich will nicht in so ein Mehrfamilienhaus, sondern in etwas, was ich selbst gestalten kann."


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