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27. Januar 2010 (Vivawest)

Evonik plant Totalabwicklung von THS und ehemaligen RAG-Wohnungen

Hintergrund - Weiteren 130.000 Werks-Wohnungen droht die Ausschlachtung - Nach im Dezember bekannt gewordenen Aufsichtsratsbeschlüssen des Evonik-Konzerns droht für weitere 130.000 ehemaligen Werkswohnungen der Ausverkauf über die Börse oder an "Heuschrecken". Der Aufsichtsrat hatte am 16. Dezember einem Konzept von Evonik-Chef Engel zugestimmt. Dieses sieht unter anderem vor, die Wohnungen der Evonik-Immobiliensparte und der 50%igen Beteiligung THS zu bündeln und dann "an den Kapitalmarkt" zu bringen. Dieses Geschäft soll der "Stiefmutter" Evonik-Industries die Mittel für weltweite Zukäufe und andere Investitionen im Bereich der Spezialchemie verschaffen und den stockenden Börsengang der ehemaligen RAG auf Trab bringen. Auf der Strecke zu bleiben drohen über 130.000 Wohnungen und ihre MieterInnen.

Die besondere Brisanz dieses Vorhabens ergibt sich daraus, dass es sich nicht um eine reine privatwirtschaftliche Angelegenheit handelt. Die betroffenen Wohnungen sind bislang zum Teil durch besondere Regelungen als Sozialeinrichtungen geschützt. Haupteigentümer ist die öffentliche RAG-Stiftung, die politisch kontrolliert wird. Bei der THS kommt eine 50%iger Anteil der IG BCE hinzu.
Würden die Pläne von Engels umgesetzt, würde das Land NRW die letzten größeren überörtlichen Wohnungsunternehmen verlieren, die nicht ausschließlich von Rendite-Interessen und den Finanzmärkten bestimmt werden. Den Wohnungen und Mietern würde ein Schicksal wie bei Annington, Gagfah oder LEG bevor stehen.
Das vom Aufsichtsrat begrüßte Konzept wirft zugleich ein Schlaglicht auf die sozialpolitischen Konsequenzen der Abwicklung der Bergbaus und der Privatisierung der ehemaligen RAG.

Die Privatisierung der RAG
Im Zuge der Abwicklung des Steinkohlebergbaus und der Privatisierung der Ruhrkohle AG wurde der "weiße Bereich" der RAG in den privatwirtschaftlichen Misch-Konzern Evonik Industries mit den Sparten Spezialchemie, Energie und Immobilien umgewandelt. Die Geschäftsanteile wurden zunächst (und werden überwiegend noch weiterhin) von einer neu geschaffenen, öffentlich kontrollierten RAG-Stiftung gehalten.
Zweck der RAG-Stiftung ist es, auf Dauer für die "Ewigkeitslasten" des Bergbaus, die Bergschäden, aufzukommen. Die Mittel dazu sollen aus der Verwertung von Evonik Industries erwirtschaftet werden. Dies soll vor allem, aber nicht ausschließlich, durch einen Verkauf der Aktien erfolgen.

Die RAG Stiftung wird vor allem von Vertretern der Bundesregierung, der Landesregierungen NRW (Rüttgers) und Saarland (Müller) kontrolliert, aber auch Vertreter von IG BCE und Betriebsrat sind vertreten. Das Konzept soll vom Bundestag spätestens 2012 überprüft/ abschließend bestätigt werden.

Die Stiftung soll auf Dauer mindestens 25 % der Anteile an Evonik Industries behalten.
Im Juni 2008 wurden ca. 25 % der Anteile an der Evonik Industries an Fonds des britischen Investmenthauses CVC Capital Partners veräußert. Damit bestimmen Finanzinvestoren bereits jetzt über die weitere Strategie entscheidend mit.

Bei der Schaffung des Abwicklungs-Konzeptes wurde versäumt, die Werkswohnungsbeteiligungen gesondert zu schützen. Ihre soziale Bewirtschaftung hätte zum Beispiel – analog zu den Bergschäden oder der Kultur – als Ziel der RAG-Stiftung definiert werden können, und die Wohnungsbeteiligungen hätten dann getrennt von dem privatisierten Industrie-Konzern geführt werden müssen. Nachdem die Wohnungen in den Verwertungsauftrag von Evonik-Industries einbezogen wurden, ist nicht überraschend, dass sie nun auch Begehrlichkeiten wecken.

Die Wohnungsbeteiligungen von Evonik
Im Zuge der Umwandlung zur RAG Stiftung und zur Evonik wurde die Wohnungsparte RAG Immobilien (entstanden aus einer Fusion diverser Wohnungsgesellschaften) zur "Evonik Wohnen GmbH", die zu 100 % von Evonik Industries kontrolliert wird. Der Evonik Wohnen GmbH gehören 60.000 Wohnungen, zumeist ehemalige Werkswohnungen, auch aus der Stahlindustrie (z.B. Ex-Hoesch-Wohnungen in Dortmund).

Außerdem hält Evonik Industries 50 % der Anteile an der ehemaligen Bergarbeiter-Wohnungsgesellschaft THS. Diese besitzt 75.000 Wohnungen, meistens im Ruhrgebiet und im Aachener Raum, aber auch in Thüringen. Die THS übernahm bei der Privatisierung der Bundesbahn auch Bahnwohnungs-Gesellschaften.

Die übrigen 50 % Anteile an der THS hält die IG BCE. Die IG BCE will nach bisherigen Versicherungen an ihren Anteilen an der THS festhalten, – obwohl Evonik mehrfach das Interesse an einen Abkauf der IG BCE Anteile bekundet hat.
Der Bund war im Zuge der Abwicklung der RAG aus seinem Minderheitsanteil an der THS ausgestiegen. Die Kosten dafür muss die THS erwirtschaften. Ein nicht unerheblicher Teil der erneuerungsbedürftigen Arbeiterwohnungen wird auch aus diesem Grund jährlich ohne Beteiligung der Mieter abgestoßen.

Vom Mischkonzern zum Chemie-Spezialisten
Der ursprüngliche Manager des Börsengangs der RAG, Müller, hatte immer wieder beteuert, dass Evonik als Mischkonzern – inclusive Wohnungen - eine grandiose Zukunft habe. Sein Konzept war aber von Anfang an mit Skepsis verfolgt worden, weil weltweit Wertsteigerungen von Unternehmen durch Zerlegung von Mischstrukturen und Konzentration auf sogenannte Kerngeschäfte erfolgt. Hinzu kam die Finanzkrise, die schnelle lukrative Anteilsverkäufe und Börsengänge unmöglich machte.

Seit 2008 ist Klaus Engel Vorstandschef. Dieser ist zum Mainstream zurückgekehrt und sieht die Zukunft in einer Konzentration auf das Kerngeschäft. Und das ist die Spezialchemie mit ihren Zukunftspotentialen auf den globalen Märkten.
Bereits am 3. März 2009 sagte Engel in der Zeitschrift Capital: "Die langfristige Strategie könnte lauten: Verkauf der Immobiliensparte, Expansion bei Chemie und Strom." Und: "Unsere Immobilien sind schon heute im Branchenvergleich in der Spitzengruppe. Jetzt machen wir sie fit für den Kapitalmarkt. Denn in diese Selbstständigkeit wollen wir sie entlassen, wenn die Märkte in einer entsprechenden Verfassung sind. Zu verschenken haben wir nichts, und Zeitdruck auch nicht. Die Erlöse oder auch eventuelle Dividendenzahlungen könnten wir nutzen, um die Wachstumsbereiche zu stärken."

Aufsichtsrat befürwortet Engels-Konzept
Am 16. Dezember 2009 befürwortete der Evonik-Aufsichtsrat ein neues Geschäftsmodell, das weitgehend dieser Ankündung Engels folgt.

Evonik soll demnach zu einem der führenden Spezialchemieunternehmen auf der Welt entwickelt werden, in den Sparten: Chemikalien und Kunststoffe für Ressourcen- und Energieeffizienz, Vorprodukte für den Bereich Gesundheit und Ernährung sowie Spezialprodukte für bestimmte industrielle Anwendungen.
Energie und Immobilien sollen dagegen "schrittweise als eigenständiger Akteur" , bzw "auf mittlere Sicht" an den Kapitalmarkt geführt werden. Wie dies im Einzelnen geschehen solle, hänge auch "von der weiteren Entwicklung der Märkte" ab.

Dabei will der Vorstand zumindest im Energiegeschäft langfristig an der Kapitalmehrheit festhalten. Als mögliche Interessenten für die Evonik-Tochter STEAG gelten unter anderem Finanzinvestoren.

Mit den Erlösen dieser Restrukturierungen will der Vorstand dann in der Spezialchemie auf Einkaufstour gehen. Erste Aufkäufe im neuen Jahr bereits erfolgt.

Pläne für die Wohnungen
Bereits 2010, so die Wirtschaftspresse, beabsichtigt Evonik, zusammen mit der IG BCE ein Gemeinschaftsunternehmen gründen, in das beide Partner nach Vorstellung von Evonik ihre Immobilienbestände einbringen.
Zusammen hätte der neue Immobilienkonzern rund 130 000 Wohnungen und wäre damit die Nummer 3 auf dem deutschen Markt. Diese neue Immobilien-Holding hätte 800 Millionen Euro Umsatz. Gemessen an früheren Verkäufen dürfte der Wert der Wohnungen laut "FTD" bei fünf bis sechs Milliarden Euro liegen.

Die so gebündelten Wohnungen sollen bis Ende 2011 kapitalmarktfähig gemacht und die Anteile anschließend mehrheitlich an die Börse gebracht werden, berichtete das "Handelsblatt". Die Vorbereitungen für einen Börsengang bei Wohnimmobilien sollen kurz nach der Jahreswende beginnen, schrieb die "FTD".

Nach der Zustimmung des Aufsichtsrats wurde erwartet, dass Engel den Konzernumbau möglichst zügig realisieren wird, damit Evonik Industrie, wie schon länger beabsichtigt, an die Börse gebracht werden kann oder weitere Käufer für große Aktienpakete gefunden werden können. Nur so könnten die Milliardenbeträge zusammen kommen, die die Bergbaustiftung als Hauptanteilseigner benötigt, um den Auslauf des Bergbaus im Jahr 2018 finanzieren zu können. Die Welt: "Engels Plan steht offenbar auch unter dem Schirm der beiden Evonik-Eigentümer - der RAG-Stiftung und des britischen Investors CVC."

Mieterforum Ruhr führt in den nächsten Wochen zunächst Gespräche, um nach Alternativen und Perspektiven für einen Ausverkauf zu suchen.


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