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26. Februar 2010 (Land NRW)

Landtagsanhörung: Schnelle Hilfe für Kommunen statt Streit um Zwangsenteignung

Mieterforum Ruhr fordert sofortige Einrichtung einer Facharbeitsgruppe - Bei der Landtagsanhörung zu vernachlässigten Wohnungsbeständen am 25.2.2010 waren sich die Expert/innen aus Kommunen, Städte, Mieterbund und kommunalen Wohnungsunternehmen überwiegend einig: Der zunehmende Verfall von Siedlungen unter Kontrolle der Finanzinvestoren wird zu einem immer dramatischeren Problem für die Mieter, für ganze Stadtteile, für die Kommunen und auch für solide Eigentümer, die mit die Abwärtsspirale gezogen werden. Trotzdem sind die vorhandenen rechtlichen Instrumente weitgehend ausreichend. Bei der Umsetzung muss freilich gründlich nachgebessert werden. Mieterforum Ruhr forderte die sofortige Einsetzung einer Arbeitsgruppe der zuständigen Fachministerien mit Städtetag und Mieterbund.

"In einen Schlagabtausch über das Reizwort ‚Enteignung von Immobilien“ wollen wir uns nicht verzetteln", sagte Helmut Lierhaus vom Mieterforum Ruhr und Mieterverein Dortmund bei der Anhörung. Lierhaus verwies darauf, dass es bereits zahlreiche planungsrechtliche Eingriffe in das Eigentumsrecht gebe. "Ohne die grundsätzliche Möglichkeit der Enteignung wäre kaum ein größeres Planungsvorhaben zu verwirklichen. Es sei denn Sie kaufen Grundstücke um jeden Preis." Enteignung sei zwar eine "Ultima Ratio", mehr aber auch nicht. Wie überall sei Prävention der bessere Weg. Denn am Ende des Niedergangs einer großen Wohnimmobilie müsse immer die Kommune mit hohen Kosten für die Folgen gerade stehen.

Lierhaus nannte als Beispiel das leerstehende 17-stöckige "Horrorhaus" mit Eigentumswohnungen an der Kielstraße 26 in Dormund Nord. "Um das geräumte und versiegelte Haus abreißen zu können haben Land und Stadt bisher 580.000 aufgebracht, nur um die 42 Eigentümer aufzuspüren. Um an das Eigentum zu kommen, wäre weiteres Geld erforderlich, das zumindest die Stadt Dortmund bis aus weiteres nicht hat."

Tausende Wohnungen ohne Zukunft
Vor allem Ruhrgebiets-Städte stehen nach den Kaufsexzessen der "Heuschrecken" vor gewaltigen Problemen. In Dortmund, so stellte der Wohnungsamtsleiter Hans-Peter Neuhaus dar, befinden sich ca. 45.000 Wohnungen unter Kontrolle der Finanzinvestoren. Das sind mehr als 20 % des gesamten Mietwohnungsbestandes.
Die meisten dieser Wohnungen werden von der Annington und LEG/Whitehall kontrolliert. Diese Unternehmen investieren auch nicht mehr genügend, es gibt kaum Modernisierungen, und sie ziehen sich aus der öffentlichen Verantwortung zurück. Sie sind aber von der Stadt Dortmund immerhin noch ansprechbar und reagieren auf öffentlichen Druck.
Viel schlimmer steht es in Dortmund um ca. 8000 Wohnungen, die von kleineren Fonds kontrolliert werden, die ihren Sitz im Ausland haben, u.a. in den Niederlanden und Dänemark. Hier ist es zu Teil-Bankrotten, häufigen Eigentümerwechseln und noch häufigeren Verwalterwechseln gekommen. In der Folge häufen sich die Instandhaltungsprobleme. Erschwerend kommt hinzu, dass sich diese Wohnungsbestände auf wenige Stadtteile konzentrieren.

Abwärtsspirale
Die Mieter dieser Investoren, so Neuhaus, leiden darunter, dass die Ansprechpartner alle paar Wochen wechseln und dass Instandhaltungen allenfalls nach erheblichem Druck durchgeführt werden. Bei der Durchsetzung ihrer Forderungen haben vor allem ältere Mieter – trotz guter Information durch den Mieterverein - oft Angst. BezieherInnen von Transfereinkommen wie ALG II sind in der Wahrnehmung ihrer Rechte besonders beeinträchtigt. Bei Mietminderungen zum Beispiel tragen sie einen Teil des Prozesskostenrisikos, den Minderungsbetrag müssen sie aber an die ARGE abtreten.

Noch größere Probleme machen diese Wohnungsbestände, so Neuhaus, aus Sicht der Kommunen. Neuhaus sprach von einer Abwärtsspirale: Zunächst investieren die ausländischen Finanzinvestoren unzureichend in die Wohnungsbestände und beteiligen sich nicht an Quartiersmaßnahmen. Dann kommt es zu Fortzügen und einer Zunahme der Leerstände. Die Wohnungsbestände verlieren weiter an Attraktivität und dies strahlt auf das gesamte Umfeld aus. Auch benachbarte Wohnungsbestände von an sich soliden Eigentümern werden in den Abwärtstrend hinein gezogen. Es kommt zu Wertverlusten. Investitionen werden im gesamten Quartier immer unwahrscheinlicher.

Kommunale Maßnahmen scheitern oft an der Umsetzung
Um dieser Gefahr entgegen zu wirken, verfügt die Stadt an sich auch weiterhin über geeignete Rechtsmittel, meinte Neuhaus. Nach Vorschriften des Baugesetzbuches, auf Grundlage des Landesrechts zur Wohnungsaufsicht (WFNG) und des Ordnungsrechts kann die Stadt Instandsetzungsaufforderungen erlassen, Zwangsgelder verhängen, wenn notwendig auch Ersatzvornahmen vornehmen. Die Probleme liegen aber in der schnellen und sicheren Umsetzung.

Schon die Ermittlung des jeweiligen Ansprechpartners auf der Eigentümerseite macht enorme Schwierigkeiten. Muss die Stadt wegen Untätigkeit des Eigentümers zu Ersatzvornahmen greifen, um wichtige Instandhaltungen durchzusetzen, muss sie mit den Kosten in Vorleistung gehen. Vor allem in Haushaltssicherungskommunen können die Städte ihre Möglichkeiten nur noch eingeschränkt wahrnehmen, wenn die Kommunalaufsicht derartige Ausgaben untersagt. Normaler Weise könnte die Stadt die Kosten gegenüber den Eigentümern wieder eintreiben. Aber dies macht enorme Schwierigkeiten, wenn der Eigentümer seinen Sitz im Ausland hat. Eine unzureichende EU-Richtlinie verhindert, dass die Forderungen auf dem Wege der Amtshilfe im Ausland eingetrieben werden können.

Weitere Probleme ergeben sich für leerstehende Wohnungen. Nach Abschaffung der Zweckentfremdungsverordnung durch die schwarz-gelbe Landesregierung haben die Städte keine Handhabe mehr, gegen den Verfall bei Leerstand vorzugehen. "Bei teilweise 25 Prozent Leerstand ist die ein großes Problem", sagte Neuhaus. Auch bei der Wahrnehmung von Vorkaufsrechten - die Stadt Dortmund hat mehrere Satzungen erlassen, um dies zu garantieren - stellt sich die Frage nach der Finanzierung.

Kommunen überfordert
Gleichwohl, so Neuhaus, sei der "Instrumentenkoffer" öffentlich-rechtlicher Eingriffsmöglichkeiten im Grunde ausreichend. Eine "Enteignung" wäre viel zu langsam und riskant, um den Abwärtstrend rechtzeitig zu stoppen. Erforderlich sei allerdings eine finanzielle Unterstützung finanzschwacher Kommunen. In Haushaltssicherungskommunen dürfe der Regierungspräsident erforderliche Maßnahmen nicht verhindern. Durch Änderungen im WFNG müsste auch das Tätigwerden bei leerstehendem Wohnraum ermöglicht werden. Und auf EU-Ebene sei dringend die Änderung der Eintreibungsrichtlinie erforderlich.

"Die Städte allein sind mit diesen Problemen überfordert. Land und Kommunen müssen hier gemeinsame Lösungen finden", sagte Neuhaus.

Ähnlich äußerte sich der Wohnungsamtsleiter der Stadt Köln, Schleicher. Sein Amt habe in einem Fall drei Monate gebraucht, um den Ansprechpartner eines Eigentümers ausfindig zu machen.

Die Vertreterin des Städtetages NRW, Gesine Kort-Weiher, verwies darauf, dass wenige Jahre nach der Übernahme durch Finanzinvestoren bereits "erste negative Folgen" in den Städten sichtbar würden. Mit einer Verschärfung der Probleme sei in einigen Jahren zu rechnen. Es dauere einige Zeit bis sich unterlassene Instandhaltungen auswirkten.
Auch der Städtettag forderte schnell wirkende Maßnahmen zur Verbesserung des Vollzugs der vorhandenen Instrumente und finanzielle Hilfen für betroffene Kommunen.

Große Unterschiede in der Wohnungswirtschaft
Der VdW (Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Rheinland-Westfalen) meinte, die Mitgliedsunternehmen seines Verbandes – wozu neben kommunalen Unternehmen auch große Unternehmen von Finanzinvestoren gehören – sei von den Vorwürfen unzureichender Instandhaltung nicht betroffen. Die Mitgliedsunternehmen hätten im Jahr 2007 durchschnittlich 21,20 €/am in die Wohnungsbestände investiert. Eine interessante Zahl, wenn man berücksichtigt, dass Unternehmen wie Annington und Gagfah nur deutlich unter 9 € pro Quadratmeter und Jahr investieren. Damit sind lediglich die dringendsten Instandhaltungen durchzuführen.

Auch der VdW sieht Wohnungsbestände seiner Mitglieder gefährdet, wenn sich in der Nachbarschaft Verfall und Leerstände ausbreiten. Deshalb befürwortet auch der VdW finanzielle Hilfen für Kommunen, die per Ersatzvornahme vorgehen wollen, sieht aber keinen Handlungsbedarf für schärfere Gesetze.
Ein vielversprechendes Instrument zur Verbesserung des Wohnungsbestandes in schwierigen "Gemengelagen" von Immobilieneigentümern sieht der VdW in den "Immobilien- und Standortgemeinschaften": Dies sind öffentlich geförderte Projekte zur freiwilligen Zusammenarbeit unterschiedlicher Eigentümer. Der VdW hat sich für eine gesetzliche Regelung dieser "Wohnungsverbesserungsgebiete" ausgesprochen.

Der Landesverband freier Immobilienunternehmen (BFW) äußerte sich ähnlich. Es gebe beim Einsatz der vorhanden Instrumenten einige finanzielle und rechtliche Probleme. Durch ein Enteignungsrecht werden sich dies aber nicht ändern lassen. Die Mitgliedsunternehmen seien an einer dauerhaft guten Ertragslage interessiert und seien schon deshalb hoch motiviert, ihre Bestände zu investieren. Dies werde aber durch das Mietrecht erschwert.

"Am Ende liegen die Schrottimmobilien bei der Bank oder bei der Kommune."
Mit drastischen Beispielen und Formulierungen schilderte Harald Förster, Geschäftsführer der kommunalen Gelsenkirchener Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft (GGW), das Geschäftsmodell und die Auswirkungen kleinerer ausländischer Fondsgesellschaften. "Wohnen ist etwas anderes als der Handel mit Klingeltönen", sagte Förster. "Doch man braucht in Deutschland zwar einen Führerschein um eine Mofa zu fahren, aber keinerlei Befähigungsnachweis, um dieses Grundrecht zu verwalten." Viele Teilnehmer in der Debatte hätten noch nicht verstanden, dass es auch Geschäftsmodelle gäbe, die überhaupt kein Interesse an dem Erhalt der aufgekauften Wohnungen entwickelten.
Die Wohnungen mancher Investoren würden in hohem Tempo durchgehandelt, ohne dass das noch irgend jemand nachvollziehen könne. Das Grundbuch habe da nur noch "anekdotischen Charakter". Entsprechend schwer sei Durchsetzung kommunaler Interessen. Nur eines sei sicher: "Am Ende liegen die Schrottimmobilien bei der Bank oder bei der Kommune."

Mieterbund sieht Zeitbombe
Der Vorsitzende des DMM NRW, Bernhard von Grünberg, beschäftigte sich in seiner Rede ausführlich mit den großen Schwierigkeiten, die Rechte der Mieter in den betroffenen Wohnungsbeständen durchzusetzen. Hier wirke sich verheerend aus, dass ein großer Teil der Mieter von Transferleistungen wie ALG II abhängig sei, was die Wahrnehmung der Recht stark erschwere. Die Konzentration von Erwerbslosen und HilfeempfängerInnen in diesen Wohnungsbeständen sei Teil des Geschäftsmodells der Finanzinvestoren, meinte v. Grünberg. Eine Gegenmaßnahme sei zum Beispiel die Zusammenarbeit mit Mietervereinen, wozu auch die Übernahme von Mitgliedsbeitragen durch die ARGEn gehöre.

V. Grünberg warnte auch, dass die bereits jetzt deutlichen Probleme mit dem Verfall von Wohnungsbeständen erst der Anfang einer dramatischen Abwärtsentwicklung sei. Betroffen davon seien keineswegs nur die Wohnungsbestände kleiner Fonds, sondern auch solche von Wohnungsriesen wie der Gagfah. Diese habe die übernommenen Unternehmen schon sehr weit herunter gewirtschaftet. Große Gefahren drohten, wenn diese Unternehmen in wenigen Jahren den größten Teil des Kaufpreises neu finanzieren müssten.

Wohnungsaufsicht als Pflichtaufgabe
In einer gemeinsamen Stellungnahme forderten DMB NRW und Mieterforum Ruhr u.a. Verbesserungen bei den Vorschriften zur kommunalen Wohnungsaufsicht nach dem neuen WFNG. Bemängelt wird, dass die Regelung zu sehr auf den Begriff der "Unbewohnbarkeit" abstellt. Ein Eingriffsrecht der Kommunen sei auch bereits bei starken Instandhaltungsmängeln, etwa starkem Schimmelbefall, erforderlich. Außerdem müssten Vorkehrungen getroffen werden, dass die Kommunen nicht auf den Kosten von Eigenvornahmen sitzen blieben, etwa durch einen höheren Rang von Rückerstattungsforderungen im Grundbuch.
Des weiteren schlägt der Mieterbund vor, die Wohnungsaufsicht als vom Land geförderte Pflichtaufgabe auszugestalten. Denn viele Kommunen nehmen ihre Möglichkeiten kaum war.

Mieterforum appelliert an Regierung
"Es besteht dringender Handlungsbedarf", appellierte Helmut Lierhaus an die Regierungsfraktionen und den Bauminister. "Wenn es an ganzen Wohnstandorten brennt, dürfen Sie nicht das Löschwasser abdrehen und den Kommunen Handlungsmöglichkeiten entziehen oder vorenthalten. Das haben Sie leider schon tatkräftig gemacht. Wir brauchen ein Umdenken bei Ihnen."

Lierhaus verwies auf einen im Auftrag des Bundesministeriums herausgegebenen Leitfaden für den Umgang mit Schrottimmobilien. "Das muss herunter gebrochen werden auf Nord-Rhein-Westfalen. Ich möchte heute mit der Zusage herausgehen, dass es schon bald eine Arbeitsgruppe aus Fachministerien, Städtetag und Mieterbund gibt, die das Handlungsinstrumentarium kritisch prüft und weiterentwickelt."

Anwesend im Plenarsaal waren zu dieser Zeit freilich weder der zuständige Minister noch ein Staatssekretär.


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