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11. September 2017 (Bundespolitik)

Kündigungsschutz – Teil 2: Wie ein Schweizer Käse

Der gesetzlich vorgesehene Kündigungsschutz von Mietern ist in den letzten 15 Jahren durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durchlöchert worden wie ein Schweizer Käse. Dagegen richtet sich immer intensivere Kritik. Die Wiederherstellung des Kündigungsschutzes ist eine zentrale Forderung des Deutschen Mieterbundes an die nächste Bundesregierung – und damit natürlich Wahlkampfthema. In der letzten Ausgabe sprachen wir mit dem Berliner Rechtsanwalt Benjamin Raabe über die Kündigung bei vertragswidrigem Verhalten des Mieters. In dieser Ausgabe ist Rechtsanwalt Dr. Rainer Tietzsch unser Gesprächspartner zum Thema „Kündigung des vertragstreuen Mieters“. Er hat darüber einen Aufsatz in der Fachzeitschrift „Wohnungswirtschaft und Mietrecht“ verfasst.

MF: Dass ein Vermieter einem Mieter, der Vertragsregeln erheblich verletzt – zum Beispiel die Miete nicht zahlt – als letztes Mittel kündigen darf, kann man irgendwie verstehen. Aber wieso kann einem Mieter gekündigt werden, der sich gar nichts hat zu Schulden kommen lassen?

Tietzsch: Begründet wird das mit dem Eigentumsrecht. Der Vermieter soll sein Eigentum, auch wenn er es erst einmal vermietet hatte, für sich selber nutzen dürfen. Und er soll natürlich bei der Vermietung keine Verluste hinnehmen müssen. Deshalb gibt es im Bürgerlichen Gesetzbuch die Kündigungsgründe „Eigenbedarf“ und „Hinderung angemessener wirtschaftlicher Verwertung“. Im Grundsatz ist das ja völlig in Ordnung. Was uns zunehmend Probleme macht, ist die immer stärkere Ausweitung dieser Kündigungsgründe, und auch die Anerkennung weiterer, im Gesetz nicht ausdrücklich formulierter „berechtigter Interessen“, die Vermieter an der Beendigung des Mietverhältnisses haben können.

MF: Was sind das für Probleme?

Tietzsch: Seit der Bundesgerichtshof letzte Instanz in Sachen Mietrecht geworden ist, hat er die Rechtsprechung zum Kündigungsschutz nachhaltig verändert. Verschlechtert, aus Mietersicht. Früher war zum Beispiel der Personenkreis, für den man Eigenbedarf anmelden konnte, auf Verwandte ersten Grades beschränkt, also Eltern, Geschwister, Kinder. Das hat der BGH beträchtlich ausgeweitet. Er hat aber auch der Räumungsklage eines Vermieters stattgegeben, der lediglich sechs Wochen im Jahr seine Tochter besuchen wollte. Er hat bejaht, dass Mieter für ein Au-Pair-Mädchen weichen müssen oder für gewerbliche Nutzung der Wohnung. Und er hat zugelassen, dass alle Mitglieder einer Eigentümergemeinschaft eines Mehrfamilienhauses Eigenbedarf für je eine Wohnung anmelden. Auch wer eine vermietete Wohnung viel billiger kauft als eine freie, ist nicht gehindert, sofort Eigenbedarf anzumelden, um selbst einziehen zu können.

MF: Das ist alles Eigenbedarf?

Tietzsch: Die Sache mit dem Au-Pair-Mädchen und der gewerblichen Nutzung nicht. Denn Eigenbedarf kann der Vermieter nur für Verwandte oder Angehörige seines Haushaltes anmelden. Aber die Aufzählung der Kündigungsgründe in § 573 BGB ist leider nicht abschließend, so dass man sich „sonstige berechtigte Interessen“ des Vermieters ausdenken kann, das Mietverhältnis zu beenden.

MF: Und was hat es mit der Hinderung angemessener wirtschaftlicher Verwertung auf sich?

Tietzsch: Das ist einer der Kündigungsgründe, die das Gesetz ausdrücklich nennt. Damit ist zum Beispiel gemeint, das der Vermieter kündigen können soll, wenn er mit der Vermietung andauernde Verluste macht. Zum Beispiel, weil die Ausgaben für die Instandhaltung des Hauses die Mieteinnahmen dauerhaft übersteigen. Früher legten die Gerichte das sehr restriktiv aus. Erfolgreiche Verwertungskündigungen kamen fast nur in den östlichen Bundesländern vor, zum Beispiel in halb verfallenen und dreiviertel-leerstehenden Häusern. Aber auch hier hat der BGH die Grenzen viel tiefer gelegt. Zum Beispiel ist eine Verwertungskündigung jetzt möglich, wenn der Vermieter das Haus bereits in sehr schlechtem Zustand ganz billig gekauft hat. Oder wenn er den schlechten Zustand durch jahrelange Vernachlässigung selbst herbeigeführt hat.

MF: Um den Kündigungsschutz quasi „wiederherzustellen“, haben Sie ganz konkrete Gesetzesänderungen vorgeschlagen.

Tietzsch: Es handelt sich um Vorschläge der Arbeitsgruppe „Mietrecht“ im „Netzwerk Mieten und Wohnen“. Und der erste Vorschlag ist, außerordentliche und ordentliche Kündigungen strikt zu trennen im Gesetz. Wegen Vertragsverletzung soll nur gekündigt werden können, wenn sie sehr schwerwiegend ist, und dann eben außerordentlich, also fristlos. Oder wenn ein Gericht den Mieter wegen seiner Vertragsverletzung rechtskräftig verurteilt hat und er diese trotzdem fortsetzt. Das hat Ihnen mein Kollege Benjamin Raabe, der mit mir zusammen in dieser Arbeitsgruppe ist, ja bereits erläutert.

MF: Und für Eigenbedarf und die wirtschaftliche Verwertung bliebe dann die ordentliche, also fristgemäße Kündigung?

Tietzsch: Genau – und zwar nur für diese. Wir schlagen vor, das Wörtchen „insbesondere“ vor der Aufzählung der Kündigungsgründe in § 573 BGB ersatzlos zu streichen. Dadurch würde die Aufzählung abschließend und es wäre nicht mehr möglich, sich sonstige Gründe auszudenken. Wir fordern, dass sich der Personenkreis, für den Eigenbedarf angemeldet werden kann, wieder auf Verwandte ersten Grades beschränkt. Das muss man eben wörtlich so ins Gesetz schreiben, damit Gerichte das nicht mehr anders interpretieren können. Und wir fordern, dass alle möglichen Kündigungsgründe, die schon bei Abschluss des Mietverhältnisses oder beim Kauf des Hauses durch den jetzigen Eigentümer vorlagen, außen vor bleiben. Dann könnte niemand mehr eine Wohnung kaufen und sofort Eigenbedarf anmelden, oder ein heruntergekommenes Haus billig erwerben und dann die Mieter wegen des Instandsetzungsbedarfs kündigen. Das würde sehr viele der beschriebenen Probleme lösen.

MF: Aber nicht alle?

Tietzsch: Nein. Wir finden es auch unbefriedigend, dass die Interessen des Mieters, in seiner Wohnung zu bleiben, überhaupt keine Rolle spielen. Außer in den begrenzten Fällen, wo sich der Mieter auf eine besondere soziale Härte gemäß § 574 BGB berufen kann. Es ist ja auch abseits von Notlagen in vielen Fällen der Mieter mindestens so stark auf die Wohnung angewiesen wie der Eigentümer. Wir schlagen deshalb vor, in § 573 vorzuschreiben, dass das berechtigte Interesse des Vermieters an der Kündigung das Interesse des Mieters, in der Wohnung zu bleiben, deutlich überwiegen muss. Dann wird die Tatsache, dass die Mieter meist auf die Wohnung angewiesen sind, von vornherein mitberücksichtigt. Das Widerspruchsrecht in § 574 soll in dieser Konstruktion sichern, dass auch in dem Fall, in dem die persönlichen Interessen des Vermieters überwiegen, der Mieter möglichst nicht wohnungslos wird, indem zumindest der unternehmerisch handelnde Vermieter dem Mieter Ersatzwohnraum anbieten muss, wenn er kündigen möchte.

MF: Sehen Sie bei all dem keine verfassungsrechtlichen Probleme?

Tietzsch: Das haben wir geprüft. Es gibt ja im Grundgesetz sowohl die Eigentumsgarantie als auch die Sozialpflicht des Eigentums. Artikel 14 des Grundgesetzes verpflichtet den Gesetzgeber ausdrücklich, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. Das heißt, es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, durch Gesetze festzulegen, welche Rechte ein Haus- oder Wohnungseigentümer hat, und welche Beschränkungen er im Interesse der davon betroffenen Nichteigentümer, insbesondere der Mieter, und im Interesse der Allgemeinheit hinnehmen muss. In der Vergangenheit sind sämtliche Versuche, Regelungen im Wohnraummietrecht, die das Eigentumsrecht beschränken, für verfassungswidrig zu erklären, gescheitert. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt für das Recht der Wohnraummiete sogar eine besonders strenge Sozialbindung. Also: Wenn der Gesetzgeber will, kann er unsere Vorschläge durchaus umsetzen.

MF: Welche Chancen räumen Sie den von Ihnen geforderten Gesetzesänderungen denn ein?

Tietzsch: Das kommt ein Stück weit auf das Ergebnis der bevorstehenden Bundestagswahl an. FDP und AFD sehen im Mieterschutz nur ein Investitionshemmnis (in NRW bauen Union und FDP gerade den Mieterschutz ab). In der Großen Koalition gab es zwar zaghafte Ansätze, die Union sorgte aber dafür, dass die Mietpreisbremse nicht funktioniert, und hat viel harmlosere Änderungen im Mietrecht letztlich nicht einmal bis in die Kabinettsrunde kommen lassen. Auch in der SPD gibt es starke Kräfte, die die Probleme entweder immer noch nicht ernst nehmen, oder einen Konflikt darum nicht riskieren wollen. Ob eine Fortsetzung der Großen Koalition irgendeine Verbesserung bringt, ist sehr zweifelhaft. In einer rot-rot-grünen Regierung hätte der Mieterschutz sicher einen anderen Stellenwert. Wir sollten alle Politiker in der Öffentlichkeit mit diesen Problemen konfrontieren und sie auf ernsthafte Anstrengungen festnageln.

Rechtsanwalt Dr. Rainer Tietzsch ist Vorsitzender des Berliner Mietervereins


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