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15. Dezember 2019 (Aus den Städten)

Genossenschaften: Eingebaute Mietpreisbremse

In Bochum fehlt es an preiswerten Wohnungen für Geringverdiener. 25.000 davon gibt es zu wenig, hat die Hans-Böckler-Stiftung errechnet. Börsennotierte Wohnungsriesen wie Vonovia oder LEG lösen das Problem ganz sicher nicht. Und auch die städtische VBW hat der Mieterverein in diesem Jahr wegen ihrer offensiven Mietenpolitik kritisiert (siehe S. 20). Wer also schafft Abhilfe? MIETERFORUM sprach mit den Vorständen drei großen Genossenschaften in Bochum: Christian Knibbe vom Gemeinnützigen Wohnungsverein zu Bochum, Jürgen Finken von den Bochumer Wohnstätten und Oliver Krudewig von der Baugenossenschaft Bochum. Wie schafft man preiswerten Wohnraum?

MIETERFORUM: Zunächst die harten Fakten. Wie viele Wohnungen haben Sie und wie teuer sind die?

Knibbe: Wir haben aktuell 2.939 Wohnungen, vor allem in Altenbochum, Ehrenfeld, Grumme, Hiltrop, Linden und Wiemelhausen. 630 davon sind öffentlich gefördert, und die Durchschnittsmiete liegt bei 4,55 € pro qm.

Finken: Wir haben 2.602 Wohnungen mit einer Durchschnittsmiete von 5,18 €. Ca. 120 sind sozial gebunden, und unsere lokalen Schwerpunkte sind in Ehrenfeld, Hamme und Riemke.

Krudewig: Bei uns sind es 1.700 Wohneinheiten, davon 25 geförderte Seniorenwohnungen. Am stärksten vertreten sind wir in Weitmar, Ehrenfeld, Eppendorf und Rosenberg, und die Durchschnittsmiete liegt bei 4,82 € pro qm.

MF: Bauen Sie auch neu?

Krudewig: Wir bauen 30 bis 50 neue Wohnungen im Jahr, aktuell 39 in Wattenscheid und 10 in Langendreer.

Knibbe: Wir haben beschlossen, den Neubau stärker in den Fokus zu nehmen und rund 4 Mio. € pro Jahr dafür auszugeben. In unserem Bestand sind 80 % der Wohnungen vor 1970 gebaut und kommen in die Jahre.

Finken: Wir haben aktuell 28 Wohneinheiten im Bau, die KFW 40+-Standard haben werden mit Photovoltaik und Wärmepumpe, Aufzug, Parkett und elektrischen Rollläden. Die werden allerdings auch 9,50 € kosten. Bauen ist teuer geworden, trotz der niedrigen Zinsen.

MF: Sie haben aber auch schon Neubauten für 8,50 vermietet, in der Hildegardstraße in Hamme. Wie machen Sie das?

Finken (grinst): Ich muss keine Aktionäre befriedigen.

Krudewig: Als Genossenschaften haben wir kein Interesse daran, die Mieten hochzutreiben, weil unsere Gesellschafter bzw. Mitglieder die Wohnungsnutzer sind.

MF: Heißt das, Sie machen keine Gewinne?

Krudewig: Wir machen Jahresüberschüsse, aber die werden sofort wieder investiert. An unsere Genossen schütten wir 3 % Rendite aus.

Finken: Wir schütten 4 % aus, aber das macht pro Jahr nur 170.000 € aus.

Knibbe: Bei uns sind es auch 4 %, was derzeit 155.000 € ausmacht.

MF: Haben Sie denn noch eigene Grundstücke für den Neubau? Oder kaufen Sie welche, zum Beispiel bei der Stadt?

Finken: Nein, haben wir nicht. Wir bauen ganz überwiegend ersetzend. Das heißt: Abriss und Neubau an gleicher Stelle.

Krudewig: Auch wir reißen punktuell ab, wenn Altbauten nicht vernünftig sanierbar sind, zum Beispiel wegen ungünstiger Grundrisse oder mangelhaftem Schallschutz. Aber wir erwerben auch Grundstücke bei der Stadt. Die werden im Bestgebotsverfahren vergeben. Es werden dort 20 bis 30 % Sozialwohnungen verlangt.

Knibbe: So ein Bestgebotsverfahren ist eigentlich positiv. Das heißt, es entscheidet nicht nur der Preis, den man bietet, sondern auch das Gesamtkonzept. Aber wir fordern, dass Genossenschaften bei der städtischen Grundstücksvergabe bevorzugt berücksichtigt werden. Durch unsere Nachhaltigkeit und unser Preisbewusstsein würden die Bochumer Bürger und somit auch unsere Stadt davon langfristig profitieren.

Krudewig: Der Preis richtet sich sowieso nach der Bodenrichtwertkarte. Das ist auch kein Problem. Wenn Sie ein Haus 100 Jahre lang bewirtschaften, spielt der Grundstückspreis nicht so eine große Rolle. Entscheidender ist die Lage. In den guten Lagen funktioniert Vermietung in Bochum problemlos, in anderen ist es schwieriger.

MF: Wie würden Sie es sehen, wenn die Stadt Grundstücke im Wege des Erbbaurechts vergeben würde?
 
Knibbe: Spontan eher kritisch, weil das dem Genossenschaftsgedanken widerspricht. Wir versorgen unsere Mitglieder mit einem lebenslangen Wohnrecht und sind für dies verantwortlich. Da gibt es Schwierigkeiten, wenn ein Erbbaurecht ausläuft. Man kann das zwar regeln, aber Standard ist das nicht.

Krudewig: Das Problem ist, dass gegen Ende der Laufzeit meistens eine Strategie der Desinvestition gefahren wird. Wenn man das Grundstück zurückgeben muss, würde sich eine Investition in die Immobilie, die darauf steht, nicht mehr lohnen. Und wenn man das Grundstück doch noch kaufen kann, würde man durch eine Investition nur den Preis hochtreiben.

Finken: Wichtig wäre auch die Höhe des Erbbauzinses. Denn die Zinsen auf dem Kapitalmarkt sind ja im Moment auch sehr niedrig.

MF: Wenn Sie „Vorrang für Genossenschaften“ fordern, tun Sie das wegen der Gemeinwohlorientierung?

Finken: Genau. Das ist bei uns allen dreien in der Satzung geregelt, dass es unsere vorrangige Aufgabe ist, preiswerten Wohnraum für unsere Mitglieder zur Verfügung zu stellen. Das Zitat stammt leider nicht von mir, aber von unserem Verbandspräsidenten Ulrich Bimberg: „Genossenschaften haben eine eingebaute Mietpreisbremse.“

Krudewig: Wir haben 2019 nicht eine einzige Mieterhöhung ohne Modernisierung gemacht. Und auch nach Modernisierungen erhöhen wir die Miete max. um 30 bis 50 €. Dies liegt weit unterhalb des Mietspiegels und der zulässigen 8 %. Ob Neubau oder Modernisierung – wir berechnen lediglich die Selbstkosten (Kostenmiete). Jedes Prozent Zusatzrendite würde, wie bei anderen Anbietern zu sehen, den Mietpreis um ca. 20 % nach oben schnellen lassen.

Knibbe: Auch wir haben 2019 keine einzige Mieterhöhung ohne Modernisierung durchgeführt. Die gesetzlich möglichen Erhöhungen nach Modernisierung kappen wir freiwillig und verteilen die Mietanpassungen auch schon mal auf mehrere Jahre zur Entlastung der Bewohner.

Finken: Für 2020 haben wir eine Modernisierung geplant, in der so viel Instandhaltung enthalten ist, dass wir da ganz auf eine Mieterhöhung verzichten. Wir schauen uns auch in Einzelfällen neue Mieter an, und wenn da jemand nicht so viel Geld hat, setzen wir die Miete schon mal niedriger an.

MF: Wie würden Sie dazu stehen, wenn es wieder eine Wohnungsgemeinnützigkeit gäbe wie vor 1980, auf freiwilliger Basis? Wären Sie dabei?

Finken: Nein, wir wollen uns nicht darauf festlegen lassen, ausschließlich geförderten oder sehr preisgünstigen Wohnraum zu bauen sondern auch Wohnraum für solche Familien, die darauf keinen Anspruch haben, aber auch keine Wohnung finden. Wir versuchen dabei immer noch unter dem üblichen Quadratmeterpreis zu vermieten.

Krudewig: Praktikabler wäre, die wohnungswirtschaftliche Versorgung in Genossenschaften zu organisieren.

Knibbe: Die Gemeinnützigkeit würde im Ergebnis Einschränkungen für die Genossenschaft bedeuten, die anderen Marktteilnehmern nicht auferlegt würden. Insofern würden wir uns daran nicht beteiligen wollen.


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