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9. Dezember 2010 (Aus den Städten)

Optionskommune: Essen will an Hartz-IV-Mieten sparen

Die Stadt Essen ist ein Sparfuchs: Da werden Bäder geschlossen, die Zahl der städtischen Auszubildenden massiv gesenkt und jetzt sollen auch noch die Mieten für Hartz-IV-Empfänger dran glauben. Rund 160 Millionen Euro zahlt die Stadt jährlich für Miete und Heizkosten für die 40.000 Essener Hartz-IV-Haushalte.

Das will die Stadt nicht länger mitmachen. Stattdessen hat sie große Spar-Pläne. Sie will ab 2012 „Optionskommune“ werden, um Langzeitarbeitslose fortan selber in Arbeit zu vermitteln. Die Stadtführung glaubt, durch ihre eigene Kompetenz könne sie Arbeitslose schneller vermitteln - und so Gelder für deren Miete sparen. Den Kürzeren ziehen die Mieter.

„Wir sehen die Bewerbung zur Optionskommune als problematisch an“, sagt Siw Mammitzsch von der Mietergemeinschaft Essen, „Es besteht einfach die Gefahr, dass die Unterkunftskosten nach unten angeglichen werden. Dies ist einer der wenigen Posten, den die Stadt rein rechtlich gesehen überhaupt kürzen darf. Andererseits kann es auch passieren, dass die Stadt unter finanziellen Druck gerät und weniger Geld zur Verfügung hat. Vielleicht muss sie dann aus der Not heraus die Mietobergrenze senken, weil der Bund mal wieder Arbeitsmarktmittel kürzt.“ Den betroffenen Mietern droht Zwangsumzug oder, dass sie selber einen Teil der Miete zahlen müssen, den die Stadt nicht länger übernimmt. Wenn die Stadt die Betreuung von Langzeitarbeitslosen ab 2012 alleine in die Hand nimmt, geht zudem eine gewisse Kontrolle verloren. Denn bisher gibt es neben der Stadt immer noch den zweiten Partner am Tisch - die Bundesanstalt für Arbeit.

Es geht um viel Geld
Seit Ende September steht fest, dass sich Essen bewirbt. Kommunen müssen bis zum 31. Dezember die Anträge einreichen. Anfang 2011 entscheiden dann die Bundesländer über die Rangfolge der Optionsbewerber, die dann am Ende vom Bund zugelassen werden. Erst dann wird Essen die rund 80.000 Hartz-IV-Empfänger als eine von bundesweit 42 Optionskommunen in Eigenregie betreuen. Die Stadt könnte ab 2012 über rund 81 Millionen Euro an Eingliederungshilfen, über einen Personalhaushalt für über 700 Mitarbeiter von etwa 45 Millionen Euro und über rund 190 Millionen Euro an Heiz- und Mietkosten allein verfügen.

„Wir fragen uns vor allem, warum es diese Bewerbung überhaupt gibt“, kommentiert Siw Mammitzsch, „Die Stadt kriegt doch keinen müden Euro mehr, um die Aufgabe bewältigen zu können, als es derzeit für die Arbeitsagentur gibt. Alle Arbeitsmarktrichtlinien, die jetzt für die Arbeitsagentur gelten, die gelten dann auch für Optionskommune Stadt Essen. Dabei ist doch vollkommen klar, dass die Stadt sehr viel leisten muss, um überhaupt als Langzeitarbeitlosenbetreuerin tätig werden zu können. Mitarbeiter müssen geschult werden, Software muss gekauft werden.“ Doch die Stadt beteuerte, sie verfüge über ausreichend Erfahrung in der Arbeitslosenbetreuung. Außerdem kämen immerhin fast die Hälfte der Mitarbeiter von der Essener Arbeitsagentur (300 Stück) und brächten die passenden Arbeitskenntnisse mit. Die nötigen Ausgaben beziffert die Stadt auf rund 2,4 Millionen. Die Essener Arbeitsagentur hält dagegen: Die Umstellungskosten lägen laut einer Fachstudie bei gut 6,3 Millionen Euro.

Sparen per Mieterschutz
Die Arbeitsagentur-Chefin Katja Wilken-Klein kritisiert darum die Ratsentscheidung. Aus Erfahrung wisse man, dass eine Organisationsumstellung sehr lange dauert. Vorteile für die Essener Langzeitarbeitslosen kann sie nicht erkennen. Auch der zeitliche Vorlauf bis zum Januar 2012 sei viel zu eng. Schließlich müsse die Stadt nicht nur ein neues Computerprogramm kaufen, sondern auch alle Daten neu eintippen. Konkret geht es dabei um über 80 000 Arbeitslosen-Datensätze mit seitenlangen Lebensläufen.

Doch vielleicht geht es auch viel mehr um die Sparmöglichkeiten. Eine Essener Tageszeitung erklärte: Im Unterschied zu den heutigen Jobcentern wolle sich die Stadt zuerst darauf konzentrieren, den derzeit knapp 5400 „Aufstockern“ in Essen besser bezahlte Jobs zu vermitteln. So hoffe man, die städtischen Kosten für Unterkunft und Heizung von im Schnitt 380 Euro pro Arbeitslosen-Haushalt zu drücken - und je vermittelten 100 „Aufstockern“ 350.000 Euro jährlich zu sparen. Auch Sozialdezernent Peter Renzel macht daraus gar keinen Hehl, wie die Zeitung berichtet: „Einmal abgesehen davon, dass da Menschen aus der Arbeitslosigkeit geholt werden, entlastet jeder Arbeitslose weniger die Stadtkasse.“ Ob das so einfach ist?

Wenn es ums Geldsparen geht, hat auch die Mietergemeinschaft einige Ideen. Seit langer Zeit verhandelt die Mietergemeinschaft mit der Stadt, den Sozialamt und dem Jobcenter, dass alle Hartz-IV-Empfänger den Jahresbeitrag beim Mieterverein vom Amt gezahlt bekommen (wir berichteten). „Hartz-IV-Bezieher wohnen sehr oft in maroden, vom Schimmel befallenen Wohnungen. Die Stadt könnte sich bereits heute sehr viel Geld sparen, wenn sie den Betroffenen den Mieterschutz zahlen würde. Erfahrene Fachkräfte würden dann für die Stadt Mieten und Nebenkosten überprüfen. Heute geht viel Geld an die Vermieter von schlechtem Wohnraum“, erklärt Siw Mammitzsch. Nur mit der veränderten Zuständigkeit der Jobvermittlung – von der Arbeitsagentur zur Stadt – ändert sich an dieser Lage überhaupt nichts. Dabei könnte die Stadt an dieser Stelle ihre Kompetenz beweisen – im Sinne der Mieter.


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