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12. Juli 2016 (Bundespolitik)

Wohnungsgemeinnützigkeit: Die Zeit ist reif

„Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ Der Satz stammt von Victor Hugo und damit aus dem 19ten Jahrhundert, ist aber aktueller denn je. Manche wirklich gute Ideen verpassen ihre Chance und geraten wieder in Vergessenheit. Die Finanztransaktionssteuer, ersonnen 1972 von dem amerikanischen Ökonom James Tobin, erhielt ihre größte Chance bei der jüngsten Finanzkrise und droht mitlerweile, von ihren wenigen Befürwortern in der EU vertändelt zu werden, weil sie sich nicht einig werden. Die Chancen für die Wiedereinführung einer Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland waren noch nie so gut wie jetzt. Explodierende Mieten und Wohnungsnot in den Boom-Städte einerseits, ausschließlich renditeorientierte Großvermieter andererseits lassen den Ruf nach einem gemeinwohlorientierten Sektor auf dem Wohnungsmarkt immer lauter werden. Doch ob dieser Elfer verwandelt oder auch verschossen wird, ist noch nicht raus.

Man kann sich das heute fast nicht mehr vorstellen: Bis 1990 waren praktisch alle größeren Wohnungsunternehmen gemeinnützig. Selbst die VEBA-Wohnen, Vor-Vor-Vorgängerin der Vonovia, heute börsennotiert, im DAX und das mit riesigem Abstand größte deutsche Wohnungsunternehmen, war damals gemeinnützig.

Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen durfte und darf man allerdings nicht verwechseln mit Gemeinnützigkeit zum Beispiel im Vereinswesen. Es bedeutete in erster Linie, dass die Unternehmen maximal 4 % Rendite an ihre Gesellschafter auswerfen durften, alles weitere Geld in den Wohnungsbau reinverstieren mussten, auch in freifinanziereten Wohnungen nur die Kostenmiete verlangen durften, Verkaufsbeschränkungen unterlagen und im Gegenzug steuerbefreit waren.

Das funktionierte weitgehend wunderbar und war Ende der 80er Jahre des 20ten Jahrhunderts der Regierung Kohl dennoch ein Dorn im Auge. Der Neoliberalismus beherrschte bereits die politische Debatte, Eingriffe des Staates in das Marktgeschehen galten als Teufelszeug, der Wohnungsmarkt als entspannt, der Finanzminister (Stoltenberg mit Namen) wollte auf die Steuereinnahmen nicht verzichten und die letzten Verteidiger der Wohnungsgemeinnützigkeit waren durch den Skandal der gewerkschaftseigenen „Neuen Heimat“ geschwächt.

Dem Markt überlassen

So wurde zum 31. 12. 1989 das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz abgeschafft und Millionen bis dahin preisgebundene Wohnungen dem Marktgeschehen überlassen. Nur wenige Monate später offenbarten die Daten der Volkszählung von 1987, dass es in Deutschland 1 Mio. Wohnungen weniger gab als angenommen. Der Markt wurde enger, die Mieten stiegen – und dann brach der „real existierende Sozialismus“ zusammen, die Ostgrenzen öffneten sich, Millionen Zuwanderer strömten in den Westen, die größte Wohnungsnot seit Kriegsende brach aus.

Das ist heute Geschichte. Es wurde viel gebaut, die Wohnungsmärkte beruhigten sich wieder, niemand interessierte sich mehr für Gemeinnützigkeit außer ein paar Genossenschaften, die sich diesem Prinzip weiterhin per Satzung verpflichtet fühlten.

Auch das hat sich wieder geändert. 2016 gibt es wieder Wohnungsnot in Deutschland. Nicht überall, aber wo sie herrscht, führt sie zu Mieten, die 15 € netto-kalt erreichen können, und sie weitet sich aus. Selbst im Ruhrgebiet, das bis vor kurzem als die „Insel der Glückseligen“ für Mieter galt, dreht sich der Markt, langsam, aber spürbar.

Einzug der „Heuschrecken“

Eine Spätfolge der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit war, dass der deutsche Wohnungsmarkt interessant wurde für ausländische „Finanzinvestoren“. Im internationalen Vergleich niedrige Mieten und eine niedrige Eigentümerquote – für Investitionsentscheidungen international tätiger Hedge-Fonds sind das verlockende Eckdaten. Da gleichzeitig öffentliche und industrieverbundene Träger massenweise Wohnungsbestände privatisierten, gelang der Einstieg von Unternehmen, die ausschließlich auf Rendite schielten, in den deutschen Wohnungsmarkt.

Die Folgen sind hinlänglich bekannt – und der Ruf nach einer Korrektur wird immer lauter. Der Deutsche Mieterbund hat durch Beschlüsse der Mietertage 2013 und 2015 die Wiedereinfühung einer Wohnungsgemeinnützigkeit gefordert. Die Oppositionsparteien im Bundestag, Linke und Grüne, haben dazu Anträge eingebracht, die sich auf umfangreiche Gutachten stützen, bei den Linken auf den Sozialwissenschaftler Andrej Holm von der Humbold-Universität Berlin, bei den Grünen auf den Kommunal- und Unternehmensberater Jan Kuhnert aus Hannover.

Beide hatte der Deutsche Mieterbund zu einer Fachtagung am 23. Juni nach Berlin eingeladen. Doch aus dem Ziel, deren Erkenntnisse mit den Fachpolitikern der Bundestagsfraktionen zu erörtern, wurde nichts. Alle mussten wegen einer kurzfristig angesetzten namentlichen Abstimmung im nur wenige hundert Meter entfernten Bundestag absagen.

Neue Erkenntniss brachte allein der Auftritt von Florian Pronold, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbauministerium. Der ist Bayer, und die Mietenexplosion in der Landeshauptstadt München treibt ihn um: „Die Marktmiete liegt hier bereits bei ca. 14 Euro, Sozialwohnungen kosten 7. Wenn es die nicht gäbe, könnten die Krankenschwester und der Polizeibeamte in der Stadt nicht mehr wohnen.“ Doch Sozialwohnungen werden immer weniger. Jedes Jahr gehen 60.000 durch Rückzahlung der Darlehen verloren, in den letzten 12 Jahren hat sich die Gesamtzahl halbiert. In München sind nur noch 15 % der Mietwohnungen gebunden.

Im Ausland geht‘s

Ganz anders in Wien, wo 70 % aller Mietwohnungen gemeinnützigen Unternehmen gehören, jeweils zur Hälfte kommunalen und genossenschaftlichen. Pronold ist überzeugt, dass die Mietpreisbremse die Probleme nicht lösen, sondern eben nur bremsen kann. Einen gesetzlichen Rahmen, der dazu führt, das öffentliche Förderung für dauerhafte Bindungen sorgt, kann er sich daher gut vorstellen. Die SPD werde dazu im September eine parteiinterne Tagung veranstalten. „Das kommt in unser Wahlprogramm, das kann ich Ihnen als Präsidiumsmitglied heute schon sagen. Wir müssen das aber so gestalten, dass die Unternehmen auch mitmachen.“ Und schloss mit einem Scherz: „Wer sein Kreuz an der richtigen Stelle macht, braucht hinterher keins zu tragen.“

Einig waren sich alle Beteiligten, dass noch eine Menge Überzeugungsarbeit zu leisten ist. „Aber“, so meinte DMB-Direktor Lukas Siebenkotten in seinem Schlusswort, „wenn wir uns in vier Jahren hier wieder treffen, wollen wir das neue Gesetz feiern.“


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