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13. März 2017 (Aus den Städten)

Wohnungslosigkeit: Eine Box für Dortmund

Auch wenn der Frühling vor der Tür steht und die Temperaturen steigen: Für Wohnungslose bleibt das Leben auf der Straße ungemütlich. Die Stadt Dortmund versucht ihrer Unterbringungspflicht für Menschen, die unfreiwillig obdachlos geworden sind oder sich nicht selbst aus ihrer Situation befreien können, nachzukommen. Doch die Hilfen greifen nicht in allen Fällen. Und immer häufiger springen private Initiativen in die Bresche.

Es ist kalt an diesem Februarabend, knapp über Null Grad, der Wind ist eisig. Silvia Schneider und Angela Humpert sind rund um das Dortmunder U unterwegs, ausgestattet mit heißem Tee und etwas zu Essen. Hier am Fuße des Leuchtturms der Kreativwirtschaft, in Eingängen und Gebäudenischen, verbringen einige Obdachlose die Winternächte. Horst ist einer von ihnen. Seine Campingliege hat er zwischen einer Hauswand und einem Gebüsch platziert. Silvia Schneider gibt ihm Proviant für die Nacht und wechselt ein paar Worte. Gesprächig ist er nicht. „Durch ihn bin ich auf die Wohnungslosen aufmerksam geworden“, erklärt die 50-Jährige. Seit dem vergangenen Herbst wohnt sie unweit des Dortmunder U. „Eines Abends wollte ich eine Runde mit meinem Hund machen und sah einen Mann bei der Kälte in meinem Hauseingang schlafen. Horst. Seitdem kümmere ich mich um ihn. Wenn es zu kalt wird, schläft er in meinem Auto.“

Schnell wuchs die Idee, auch anderen Obdachlosen zu helfen. Als die beiden Frauen einen Fernsehbeitrag über Sven Lüdeke sahen, der in Köln Wohnboxen für Obdachlose baut, hatten sie den Wunsch, so etwas auch in Dortmund anzubieten. Der Verein „DoBox“ war geboren. Das war Anfang Januar. Vier Wochen später ist DoBox e.V. im Gründungsverfahren, Lokalpresse und TV berichteten über das Projekt und erste Unterstützer haben sich gemeldet. „Nicht lange reden, einfach machen“, ist die Devise der beiden Powerfrauen.

Horst, Uwe und Bernd

An diesem Abend treffen sie sich in der Ritterstraße mit Uwe und Bernd, die beide auf der Straße leben. Silvia Schneider hat im Vorfeld ein Videointerview mit ihnen verabredet. „Das wollen wir den Mitgliedern im Sozialausschuss zeigen, damit sie aus erster Hand erfahren, wo es an Unterstützung fehlt“, sagt Angela Humpert und hält die Kamera, während Uwe und Bernd aus ihrem Alltag erzählen. Würden die beiden im Winter eine Wohnbox nutzen, um sich vor der Kälte zu schützen? „Auf jeden Fall!“


Im Vergleich zu Metropolen wie Berlin und Hamburg ist die Situation in Dortmund weniger dramatisch, doch die rund 90 Notschlafplätze in drei Einrichtungen für Männer, Frauen und Jugendliche sind insbesondere im Winter komplett belegt. Die Stadt hält weitere 59 Wohneinheiten mit insgesamt 133 Schlafplätzen frei, um Notfälle zu versorgen. Doch längst nicht jeder Obdachlose kann oder will diese Angebote in Anspruch nehmen. Das weiß auch Bastian Pütter, Redakteur beim Straßenmagazin bodo. „Laut Landesstatistik gibt es in Dortmund 440 Wohnungslose, aber die Dunkelziffer liegt deutlich höher, weil viele Personen gar nicht erfasst werden. Die Unterkunft an der Unionstraße hat nach wie vor keinen guten Ruf unter den Obdachlosen. Andere Personen, meist aus Südosteuropa, nutzen die Anlaufstellen nicht, weil sie offiziell nur als Touristen in der Stadt sind. Und für wieder andere stellen selbst solch niedrigschwellige Angebote eine zu hohe Hürde dar.“ Dass man verschiedene Zahlen in Bezug setzen müsse, schlägt Pütter vor. Etwa die 100.000 Besucher im Jahr im Gast-Haus an der Rheinischen Straße mit der Zahl derer, die sich bei der Zentralen Beratungsstelle der Diakonie eine Postanschrift besorgt haben, und der Anzahl der Personen an den einschlägigen Übernachtungsplätzen. „Aber dann würde man seitens der Stadt wahrscheinlich nervös werden.“

Was ist Wohnraum?

Die DoBox, ein mobiler Holzverschlag auf Rollen mit Platz für eine Matratze, wäre eine Möglichkeit, all jenen zu helfen, die durch andere Angebote nicht angesprochen werden. Doch diese Idee der Frauen findet nicht nur Unterstützung. Verschiedene Stellen in der Stadtverwaltung reagierten auf erste Kontaktversuche skeptisch-zurückhaltend. Es geht um Punkte wie Brandschutz, um Stellflächen, um die Bauordnung, um eine Definition, was solch eine Übernachtungsbox eigentlich ist: Wohnraum? Schlafplatz? Keines von beidem? Worum es kaum geht: Menschen im Winter unbürokratisch vor dem Erfrieren zu retten. Die DoBox-Gründerinnen lassen sich durch Widerstände nicht entmutigen. Ein Prototyp ist in der Planungsphase, im nächsten Winter sollen die ersten Boxen an Obdachlose verliehen werden.

Pütter sieht das Projekt pragmatischer: „Jede Form von privatem Engagement ist richtig. Solche Boxen können als Notversorgung Leben retten. Allerdings darf die Stadtverwaltung nicht aus ihrer Unterbringungspflicht entlassen werden. Darüber hinaus sind die Boxen deutlich sichtbar und Obdachlose schon jetzt häufig Opfer von Gewalt. Das birgt eine gewisse Gefahr.“

Die Gefahr wird auch deshalb größer, weil Rückzugsräume verschwinden. Es gibt kaum noch Leerstände am Hafen oder in der Nordstadt, die als Schlafplatz genutzt werden können. Der angespannte Wohnungsmarkt schlägt selbst bis in diesen prekären Bereich durch.

In der Ritterstraße haben Angela Humpert und Silvia Schneider ihren Film im Kasten. Sie verabschieden sich von Uwe und Bernd, wünschen eine gute Nacht. Eine sichere Nacht. Gewalt gegen Obdachlose kennt auch Silvia Schneider: „An Wochenenden ist es besonders schlimm. Ich habe schon gesehen, wie Diskobesucher lachend auf schlafende Obdachlose uriniert haben. Das ist menschenverachtend.“

Auf dem Rückweg kommen die beiden Frauen an Silvia Schneiders Auto vorbei, in dem Horst die kalten Winternächte verbracht hat. Es ist ein Cabrio. „Das ist schon bitter“, sagt die 50-Jährige. „Ich habe den Wagen, damit ich im Sommer den Himmel über mir haben kann und im Winter schläft jemand darin, damit er ein Dach über sich hat.“


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