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13. Juni 2017 (Bundespolitik)

Kündigungsschutz: Wie ein Schweizer Käse

Der gesetzlich vorgesehene Kündigungsschutz von Mietern ist in den letzten 15 Jahren durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durchlöchert worden wie ein Schweizer Käse. Dagegen richtet sich immer heftigere Kritik. Die Wiederherstellung des Kündigungsschutzes ist eine zentrale Forderung des Deutschen Mieterbundes an die nächste Bundesregierung – und damit natürlich Wahlkampfthema. Mieterforum sprach mit dem Berliner Fachanwalt für Mietrecht Benjamin Raabe, der darüber einen viel beachteten Aufsatz in der Fachzeitschrift „Wohnungswirtschaft und Mietrecht“ geschrieben und der sich im Netzwerk Mieten und Wohnen e. V. an der Erarbeitung einer Reform zur Stärkung des Kündigungsschutzes beteiligt hat.

MF: Warum gibt es überhaupt Kündigungsschutz im Gesetz? Sollte nicht in einer Marktwirtschaft wie der unseren grundsätzlich Vertragsfreiheit herrschen?

Raabe: Im Prinzip tut es das ja auch. Allerdings ist der Wohnungsmarkt kein Markt wie andere. Auf einem normalen Markt kann sich ein Konsument frei entscheiden, ob er eine Ware kauft oder nicht. Jeder, der bereit ist, den geforderten Preis zu bezahlen, kann die Ware erwerben. Auf dem Wohnungsmarkt ist das ganz anders. Hier entscheidet nicht der Mieter, ob er die Wohnung bekommt, sondern der Vermieter, wem er sie gibt. Bestimmte Mietergruppen sind dabei systematisch benachteiligt, weil kein Vermieter sie gerne nimmt. Deshalb ist es gerade für solche Mieter wichtig, die Wohnung, die sie haben, nicht zu verlieren. Es kommt ja noch hinzu, dass die Wohnung keine x-beliebige Konsumware ist, sondern ein ganz zentrales Lebensbedürfnis des Menschen, ähnlich wichtig wie Nahrung und Kleidung.

MF: Dem Gesetzgeber scheint klar gewesen zu sein, dass der Mieter gegenüber dem Vermieter die schwächere Stellung hat. Schließlich hat er den Kündigungsschutz geschaffen.

Raabe: Genau. Der Vermieter soll nur bei Vorliegen eines berechtigten Interesses kündigen können, der Mieter hingegen ohne Grund. Die schwächere Stellung des Mieters wollte der Gesetzgeber hiermit kompensieren.

MF: Als berechtigte Interessen für eine fristgerechte Kündigung nennt das Gesetz 1. Vertragsverletzung des Mieters, 2. Eigenbedarf und 3. die Hinderung einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung.

Raabe: Leider ist diese Aufzählung nicht abschließend und der BGH hat eine gewisse Kreativität entwickelt, weitere Kündigungsgründe zu finden. Ich habe mich aber insbesondere mit der Kündigung wegen Vertragsverletzung beschäftigt. Und schon da liegt einiges im Argen.

MF: Aber wenn ein Mieter gegen den Vertrag verstößt, sollte der Vermieter dann nicht kündigen können?

Raabe: Warum? Das eigentliche Interesse des Vermieters ist es doch, dass der Mieter sein vertragswidriges Verhalten beendet. Dazu bedarf es keiner Kündigung, die durch eine Räumungsklage durchgesetzt werden muss, sondern einer Klage in der Sache. Nur wenn ein Mieter sein vertragswidriges Verhalten trotz Verurteilung fortsetzt, ist die Kündigung als letztes Mittel sinnvoll. Wenn der Mieter in Mietrückstand gerät, da er meint Rechte gegen den Vermieter durchsetzen zu können, muss er die Möglichkeit haben, nach einer Kündigung durch Nachzahlung des Rückstandes das Mietverhältnis zu retten.

MF: Von was für vertragswidrigem Verhalten reden wir hier?

Raabe: In den meisten Räumungsprozessen geht es eigentlich um Geld – Geld, dass der Mieter nicht gezahlt hat. Nichtzahlungen des Mieters berechtigen den Vermieter zur Kündigung, sobald die Summe eine Monatsmiete übersteigt. Erreicht sie die Höhe von zwei Monatsmieten, ist sogar eine fristlose Kündigung möglich. Und schon dieses Nebeneinander von fristgemäßer und fristloser Kündigung ist ein Problem.

MF: Warum?

Raabe: Mietschulden sind nicht gleich Mietschulden. Manche Menschen kommen in finanzielle Notlagen und zahlen die Miete nicht, andere zahlen nicht die volle Miete wegen Mängeln. Bis zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Jahre 2006 war es möglich, Mietrückstände nach der Kündigung und sogar noch nach Einreichung der Räumungsklage nachzuzahlen und damit das Mietverhältnis zu retten. Allerdings hat der BGH in seiner vorerwähnten Entscheidung diese vom Gesetzgeber ausdrücklich für die fristlose Kündigung geschaffene Möglichkeit für eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen. Wenn der Vermieter nun einerseits fristlos, gleichzeitig aber auch fristgemäß kündigt – und das machen heute die meisten – verliert der Mieter die Wohnung auf jeden Fall, und es geht nur noch um die Frage, wie schnell. Damit wird der vom Gesetzgeber vorgesehene Kündigungsschutz wertlos. Außerdem entfällt die Möglichkeit, dass beispielsweise das Sozialamt Mietschulden übernimmt und so den Wohnungsverlust verhindert.

MF: Gilt das nur für Mietschulden?

Raabe: Nein. Das gilt für jede Art von Forderung, die der Vermieter an den Mieter hat und die vermeintlich oder tatsächlich nicht beglichen ist. Es kann genau so gut eine Betriebs- oder Heizkosten-Nachforderung sein oder auch eine Mietminderung, die der Mieter wegen Wohnungsmängeln durchführt. Vermieter haben sich ziemlich angewöhnt, nicht nur in der Sache zu klagen, sondern immer auch gleich zu kündigen und auf Räumung zu klagen. Und der BGH hat es ausdrücklich gebilligt, dass dann auch der Sachstreit im Räumungsprozess geklärt wird. Der Mieter mag den Räumungsprozess sogar gewinnen, aber das weiß er erst, wenn der Prozess gelaufen ist.

MF: Und das finden Sie falsch?

Raabe: Natürlich! Es ist für den Mieter ja ein enormes Risiko, wenn er beispielsweise wegen eines Mangels berechtigterweise die Miete mindert, aber vielleicht ein wenig zu viel, und dann riskiert, nicht nur die überzogene Minderung nachzahlen zu müssen, sondern auch die Wohnung zu verlieren. Das kann relativ schnell gehen. Eine Mietminderung um 20 % führt ja schon dazu, dass man nach fünf Monaten mit einer Monatsmiete im Rückstand ist. Bei Betriebskosten-Nachforderungen ist das noch krasser. Da muss der Mieter im Prinzip sofort eine umfangreiche Prüfung mit Belegeinsicht und allem Zip und Zap vornehmen, denn wenn er nicht zahlt, riskiert er eine Kündigung.

MF: Gibt es keine Möglichkeit, das Problem zu umgehen?

Raabe: Doch. Der Mieter könnte unter Vorbehalt zahlen. Dann hat er keine Schulden beim Vermieter, kann sich Zeit nehmen, die Sache zu prüfen. Aber der Nachteil ist, dass er dann aktiv werden muss, um sein bereits gezahltes Geld wiederzubekommen. Aufwand und Kosten sind nicht unerheblich und führen dazu, dass viele Mieter allein aus diesem Grunde ihre Rechte nicht wahrnehmen.

MF: Aber immerhin eine Möglichkeit. Wie sieht es denn aus, wenn es nicht um Geld geht? Der BGH hat ja auch geurteilt, dass ein Vermieter kündigen kann, wenn der Mieter eine Baumaßnahme - egal ob Modernisierung oder Instandsetzung - nicht duldet, obwohl er sie dulden müsste.

Raabe: Da ist es ja noch viel schlimmer! Erst im Räumungsprozess soll mit Billigung des BGH geklärt werden, ob der Mieter zum Beispiel eine Modernisierung überhaupt dulden muss. Was für ein Risiko für den Mieter, wenn es morgens an der Tür klingelt und er ad hoc entscheiden muss, ob er den Handwerker nun hereinlässt oder nicht! Wenn er jetzt vorsichtshalber duldet, um nichts zu riskieren, müsste er ja später auf Rückbau klagen. Stellen Sie sich vor, er gewinnt! Was würden wohl die Nachbarn sagen, die monatelang Schmutz und Lärm der Baumaßnahmen ertragen haben, dann geht alles von vorne los und am Ende ist nach doppelter Zeit alles wie zuvor? Und wenn der Mieter einer Baumaßnahme wegen gesundheitlicher Probleme widerspricht, ist das durch nachträglichen Rückbau gar nicht heilbar.

MF: Was schlagen Sie als Lösung vor?

Raabe: Der Gesetzgeber muss auf die Aushöhlung des Kündigungsschutzes durch den BGH reagieren. Am besten wäre es, die Möglichkeit, wegen Vertragsverletzung fristgemäß zu kündigen, komplett aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch zu streichen. Entweder ist eine Vertragsverletzung des Mieters so schwerwiegend, dass dem Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses gar nicht zugemutet werden kann – dann ist eine fristlose Kündigung möglich. Oder sie ist eben nicht so schwerwiegend. Dann ist es dem Vermieter zuzumuten, in der Sache zu klagen, beispielsweise auf Duldung oder auf Zahlung von Mietnebenkosten o. ä.. Und nur wenn der Mieter sein vertragswidriges Verhalten trotz Verurteilung fortsetzt, kann es die Kündigung geben. Im Falle der Kündigung wegen Zahlungsverzugs soll der Gesetzgeber einfach die Rechtslage klarstellen, die er selbst einst geschaffen hatte und die mit Unterbrechungen seit 1923 Bestand hatte: Der Mieter muss eine Kündigung wegen Zahlungsverzugs abwenden können, indem er den Mietrückstand nachzahlt.


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