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15. Juni 2019 (Bundespolitik)

Pro und contra: Wohnungsunternehmen enteignen?

Ein Gespenst geht um in Deutschland. Es zeigt sich besonders gern in Wahlkampfauftritten, Talkshows, Sonntagsreden und über Stammtischen. Es stammt aus Berlin. Sein Name: Enteignung. Dieser ist allerdings ein Etikettenschwindel, der offensichtlich benutzt wird, um die Idee platt zu machen. Denn beim Volksbegehren in der Bundeshauptstadt geht es nicht um Enteignung, sondern um Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen. Ein kleiner, aber bedeutsamer Unterschied.

Das gab‘s ja noch nie! Das ist doch bestimmt ungesetzlich! So verschreckt man Investoren! Das kostet ja Unsummen! Das ist Sozialismus pur!

Ja, die Reaktionen sind heftig auf das Berliner Volksbegehren, dass in wenigen Wochen das Quorum an Unterschriften erreicht hat, das für einen Volksentscheid erforderlich ist. Und so werden in Berlin demnächst 2,5 Mio. Wahlberechtigte darüber abstimmen, ob alle Wohnungsunternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, verstaatlicht werden sollen.

Verstaatlicht – genauer gesagt: vergesellschaftet. Das Berliner Volksbegehren stützt sich nämlich nicht auf Artikel 14 Abs. 3 des Grundgesetzes (Enteignung), sondern auf Artikel 15 (Vergesellschaftung). Womit bereits die erste Aussage aus dem Chor der Entsetzten dem Faktencheck nicht standhält: Illegal ist das nicht, sondern in unserer Verfassung, deren 70. Geburtstag gerade gefeiert wird, vorgesehen. Mit Sozialismus hat Vergesellschaftung also auch nichts zu tun. Auch sonst ist der Gedanke an Vergesellschaftungen keineswegs so revolutionär, wie gerne getan wird. In der Satzung der IG Metall steht er drin und sogar im Ahlener Programm der CDU aus dem Jahre 1947.

Neuland

Richtig ist allein, dass Artikel 15 in den 70 Jahren, die das Grundgesetz gültig ist, noch nie angewendet wurde. Im Vergleich dazu sind Enteignungen nach Artikel 14 ganz alltäglich. Sie kommen immer dann vor, wenn Grundstücke für ein höherwertiges öffentliches Interesse gebraucht werden und Eigentümer sich weigern, zu verkaufen. 65 Enteignungsverfahren laufen aktuell in Deutschland allein für den Autobahnbau.

Und so liest sich Artikel 15 Satz 1 im Wortlaut: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“

Artikel 15 ist also wesentlich offener formuliert als Artikel 14, der Enteignungen „nur zum Wohle der Allgemeinheit“ erlaubt. Die Vergesellschaftung hingegen ist an keinerlei Bedingungen geknüpft. Das hat Konsequenzen auch für die Höhe der Entschädigung. Während sie bei Artikel 14 zwingend dem Verkehrswert entsprechen muss, gehen Rechtswissenschaftler davon aus, dass sie bei Artikel 15 durchaus niedriger ausfallen kann. Die 35 Mrd. €, die das Berliner Volksbegehren angeblich kosten soll, sind also nicht in Stein gemeißelt.

Investoren mag die Vergesellschaftung zwar verschrecken. Aber wenn man die letzte 15 Jahre Revue passieren lässt: Wäre es schlimm gewesen, wenn man  solche Investoren wie Vonovia, Deutsche Wohnen und LEG verschreckt hätte?

Nur über eines sollte man sich keine Illusionen machen: Dass eine Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen für eine schnelle Linderung der Wohnungsnot sorgen wird. Denn die Unternehmen werden bis zur letzten Instanz dagegen klagen. Da das bis zum Verfassungsgericht gehen wird, kann es zehn Jahre dauern, bis eine rechtskräftige Entscheidung vorliegt.


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