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10. September 2019 (Aus den Städten)

Wieviel Bauen in Bochum?

In Bochum wird wieder über Wohnungsbau debattiert. Erst vor zwei Jahren hatte der Rat der Stadt mit dem „Handlungskonzept Wohnen“ eine Wohnungsbauoffensive beschlossen, mit der jedes Jahr 800 neue Wohneinheiten gebaut werden sollen. Das klappt bisher (noch) nicht: in den letzten beiden Jahren lagen die Zahlen der Fertigstellungen mit 568 und 571 zwar deutlich über denen vergangener Jahre, aber ebenso deutlich unter dem gesteckten Ziel. Mitten im Sommerloch erschien dann eine Studie des „Institus der deutschen Wirtschaft“ (IW), die besagte: Bochum baut zu viel.

Das arbeitgebernahe IW hatte die Wohnungsbedarfe in den verschiedenen Regionen Deutschlands untersucht und in Bezug zur Bautätigkeit gesetzt. Die Ergebnisse waren im Großen wenig überraschend, im Kleinen dann aber doch: In Deutschland hinkt der Wohnungsbau aktuell um 17 % hinter dem Bedarf her, in NRW sogar um 23 %. In einigen Städte wird hingegen über den Bedarf hinaus gebaut, in Bochum zum Beispiel um 28 %. In den Nachbarstädten Essen und Dortmund wird dagegen nur 72 bzw. sogar nur 59 % des Bedarfs gebaut.

Eine mögliche Erklärung liefern recht neue Zahlen, die das Landesamt für Statistik (IT.NRW) ebenfalls im Juli vorgelegt hat. Nach aktuellen Bevölkerungsprognosen werden alle Ruhrgebietsstädte außer Essen und Dortmund wieder schrumpfen, Bochum zum Beispiel um 2,5 % bis 2040 auf dann 356.200 Einwohner.

Ist das Ziel also zu hoch gesteckt? Braucht Bochum gar nicht so viel Wohnungsbau, wie der Stadtrat beschlossen hat?

Dagegen spricht eine andere, ebenfalls neue Tatsache: Zum 1. Juli ist Bochum in die Gebietskulisse der Kappungsgrenzenverordnung aufgenommen worden. Da diese nur gelten darf in Gebieten, in denen die Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen besonders gefährdet ist, heißt das im Klartext: Aus Sicht der Landesregierung herrscht in Bochum Wohnungsnot. Der jahrelange Anstieg der Werte im Mietspiegel spricht die gleiche Sprache.

Zweifelhafte Ratgeber

Prognosen sind zweifelhafte Ratgeber. Was sie aussagen, ist nicht mehr und nicht weniger als: was sich ändert, wenn sich nichts ändert. Anders ausgedrückt: Was in 20 Jahren sein wird, wenn es so weitergeht wie bisher.

Es geht aber nicht so weiter wie bisher, wie wir gerade wieder erlebt haben. Alle Prognosen der letzten 15 Jahre sagten: Wir werden weniger, älter, bunter. Dann kam das Jahr 2015, es gab wieder Zuwanderung, und auf einmal knackte die Bevölkerungszahl der BRD die 83-Mio.-Marke. Zum ersten mal. Bochum hatte plötzlich statt 340.000 wieder mehr als 370.000 Einwohner. Genauso schnell kann die Prognose, die der IW-Studie zugrunde liegt, Makkulatur sein.

Der Stadt liegt eine aktuelle Untersuchung des Instituts „empirica“ vor, nach der die Bautätigkeit in Bochum nach wie vor nicht ausreicht. Zwar sinke die Bevölkerungszahl wieder, auch 2018 schon, aber da der Trend zu Single-Haushalten anhalte, steige die Zahl der Haushalte bisher weiter. Und jeder Haushalt braucht eine Wohnung.

Hinzu kommt ein Politikum: Bochum soll wieder wachsen, finden jedenfalls unsere Stadtväter und -mütter. Bochum hat in den letzten 15 Jahren zahlreiche (potentielle) Einwohner, die hier arbeiten, an Nachbarstädte verloren, weil es hier für sie keinen attraktiven Wohnraum gab. Das soll anders werden. Zumindest für die Zukunft soll gelten: Wer hier Arbeit findet, soll auch hier Wohnraum finden. Vielleicht, hofft man im Rathaus, lässt sich sogar ein bisschen verlorener Boden zurückgewinnen, wenn Dortmund und Essen mit dem Bauen nicht hinterherkommen.

Bochum baut also auch für einen Bedarf, der noch gar nicht existiert, sondern der erst noch kommen soll. Das ist prinzipiell nicht unklug. Wohnungsbaupolitik muss antizyklisch handeln. Förderprogramme ausweisen, Bauland bereitstellen, Bebauungspläne aufstellen, Baugenehmigungen erteilen – allein das schon dauert. Und damit ist noch kein Spatenstich getan. Bis eine politisch gewollte Wohnung am Markt tatsächlich angeboten werden kann, vergehen viele Jahre. Man muss also Wohnungsbau planen zu einer Zeit, in der es scheinbar gar keinen Bedarf gibt, damit die Wohnungen tatsächlich zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden. Denn die Engpässe kehren periodisch wieder.

Mäßig, aber regelmäßig

Was zu dem Schluss führt: In Bochum ist der Wohnungsbau 15 Jahre lang sträflich vernachlässigt worden. Das Versäumte nun in kurzer Zeit nachholen zu wollen, führt notwendigerweise zu Großprojekten, die den Widerstand der Nachbarschaft auf den Plan rufen, auch, weil dadurch Grünflächen zerstört werden. Wohnungsbau – eine wichtige sozialpolitische Maßnahme – kann dabei leicht in Konkkurrenz geraten zum Klimaschutz – einer genauso wichtigen umweltpolitischen Maßnahme. Denn es ist ja richtig: Wo gebaut wird, werden Flächen versiegelt, auf denen anschließend kein Baum mehr steht und kein Wasser mehr versickert. Immer mehr Menschen fragen, wieviel davon wir uns noch leisten können.

Wer 15 Jahre lang geschlafen hat beim Wohnungsbau, der muss nun große Zahlen liefern. Das verführt dazu, Großinvestoren hinterherzuhecheln. Die aber quetschen aus jedem Quadratmeter Bauland das Maximum an darauf denkbarer Wohnfläche heraus. Zuletzte in Wiemelhausen: 270 Wohneiheiten sollen neben dem neuen Gymnasium entstehen in bis zu vier Vollgeschossen plus Sockelgeschoss. Die Anwohner, die eher 2-1/2-geschossig wohnen, sind entzückt.

Wer dagegen Wohnungsbau als eine stetige Aufgabe begreift, die nicht nur das bestehende Angebot erweitern, sondern auch Überaltertes erneuern soll, der kommt gar nicht in die Situation, Klotzen zu müssen. Der kann sich Zeit lassen, nach wirklich geeigneten Flächen zu suchen und die Anwohner bei deren Entwicklung mitzunehmen. Der kann vielleicht sogar geduldig und zäh an das Thema Baulücken herangehen, statt – wie in Bochum geschehen – 330 Eigentümer auf einmal anzuschreiben und dann ob der mangelnden Resonanz frustriert diese Flinte ins Korn zu schmeißen.

Häuserkampf

Häufig wird auch darauf aufmerksam gemacht, dass bei den allermeisten der zahlreichen Bauprojekte nicht gerade das entsteht, was Bochum am nötigsten braucht: preiswerter Wohnraum. Wie auch, angesichts ebenso horrender Grundstücks- wie Baukosten? Wer 200.000 € für 500 qm Bauland hinblättern muss, kann anschließend nicht für 5 € pro qm vermieten, selbst wenn er 8 Wohnungen draufquetscht.

Was sich mit unseren Erfahrungen im Beratungsalltag deckt, ist das Ergebnis einer anderen wissenschaftlichen Studie, diesmal von der Hans-Böckler-Stiftung finanziert und schon 1 Jahr alt: Danach fehlen in Bochum 25.000 Wohnungen, die für Geringverdiener bezahlbar wären. Soll heißen: Nicht abstrakt 25.000 zu wenig, sondern 25.000 zu teuer. Dies Problem ist allerdings kaum durch Neubau zu lösen, denn neu gebaute Wohnungen sind für Geringverdiener nicht mal dann bezahlbar, wenn es Sozialwohnungen sind.

Bochum wird also gar nicht darum herumkommen, sich auch den Bestand näher anzusehen, kleine Erfolge zu suchen. Nur wer bereit ist, diesen dornigen Weg zu gehen, den Stadtbaurat Markus Bradtke so gerne „Häuserkampf“ nennt, wird die Probleme nachhaltig lösen.


>>> Rechtsberatung für Mieterinnen und Mieter
 

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