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6. September 2021 (Aus den Städten)

Drohender Abriss: Neubau oder Altes erhalten?

Das Klinikviertel in Dortmund ist eine gesuchte Wohnlage. Direkt zwischen Kreuz- und Unionviertel und neben dem Westpark gelegen, ist sie ideal für Menschen, die gerne zentral leben und fußläufig Galerien, Kneipen und Supermärkte vorfinden wollen. Jetzt plant Vivawest den Abriss eines Wohnhauses von 1896 um Platz für 13 neue Wohneinheiten zu schaffen. Das Problem: die aktuellen Mieter, die seit mehr als 50 Jahren dort leben, möchten bleiben.

„Das ist schon ein kleines Paradies hier“, sagt Ilse Hartlage, die vor ihrem Hauseingang sitzt, in den Garten schaut und von den vielen Eichhörnchen und Vögeln schwärmt, die sich hier tummeln. Hinter dem Garten schließen sich direkt die alten Bäume des Westparks an. Wäre da nicht der kontinuierlich laute Straßenlärm, könnte man glatt vergessen, dass die 81-Jährige mitten in der Dortmunder Innenstadt wohnt.

Das Letzte seiner Art

Denn das Haus mit diesem malerischen Garten liegt direkt an der Möllerstraße. Gebaut wurde es noch im vorletzten Jahrhundert für die Beschäftigten der Bahn. Damals zogen sich zahlreiche Gebäude dieser Bauart die Straße entlang. Alle mit ähnlichem, für die damaligen Verhältnisse innovativen, Grundriss: geviertelt. Mieter­ Innen wohnten nicht über-, sondern nebeneinander. Jede Mietpartei hatte einen eigenen Eingang, der große Garten diente der Selbstversorgung. Heute ist das Gebäude das letzte seiner Art. Rundherum entstanden vor allen Dingen nach dem 2. Weltkrieg klassische Geschossbauten.

Vor 55 Jahren zog Ilse Hartlage mit ihrem Mann, einem Eisenbahner, hier ein. Ihr Nachbar eine Tür weiter, heißt Ulrich Huwer und wohnt seit seiner Geburt vor über 60 Jahren in diesem Haus. Jetzt haben die MieterInnen allerdings die Ankündigung bekommen, dass ihr Vermieter Vivawest den Abriss des Hauses und des dazugehörigen Garagenhofes plant. „Das Haus und die Wohnungen aus dem Jahr 1896 entsprechen nicht mehr den heutigen Wohnanforderungen und hätten nach einer Modernisierung keinen aktuellen Standard erreichen können. Die Grundrisse entsprechen zudem nicht mehr den heutigen Wohnbedürfnissen und sind aus unserer Sicht nicht zukunftsfähig“, heißt es seitens des Wohnungsunternehmens. Schon jetzt würde ein Hausviertel nicht mehr vermietet, weil sich die notwendigen Renovierungen nicht mehr lohnen würden. Interessenten gibt es laut Ulrich Huwer allerdings immer wieder. Klar, eine leerstehende Wohnung am Westpark weckt das Interesse, vor allen Dingen, wenn der Wohnungsmarkt so angespannt ist.

Lebenslanges Wohnrecht

Geht man ums Haus und durch die Wohnungen, die sich, wie bei einem Reihenhaus, über drei Geschosse ziehen, merkt man das Alter des Hauses: Die Treppen sind steil, die Fassade ist rissig. Hier wohnt man sicherlich nicht barrierearm. Dafür mit Altbau-Charme und den Geschichten, die dieses Haus in den letzten 120 Jahren erlebt hat. In Eigenarbeit wurde hier vieles hergerichtet, individuell gestaltet und wohnlicher gemacht. Denn daran, dass sie hier noch einmal ausziehen müssten, hätten die MieterInnen nicht geglaubt. Der Grund für diese Zuversicht liegt nicht zuletzt in den Mietverträgen und den getätigten Aussagen der Vorgängergesellschaft THS. Bereits vor 20 Jahren erklärte der Vermieter auf eine Eigenbedarfs- und Verwertungskündigung für die damaligen Eisenbahner und ihre Angehörigen zu verzichten. Sprich: Wer dort eine Wohnung hatte, konnte sich sicher fühlen, nicht wegen eines Abrisses gekündigt zu werden. Doch dann kam der Brief von Vivawest, dass die MieterInnen bis Ende Februar 2022 ausziehen müssten.

Jetzt vertritt der Mieterverein die Interessen von Hartlage und Huwer. „MieterInnen, die seit 50 oder 60 Jahre dort wohnen, so vor die Tür setzen zu wollen, ist nicht tragbar“, sagt Markus Roeser, wohnungspolitischer Sprecher des Vereins. „Die Erklärung des Voreigentümers, auf Verwertungskündigungen zu verzichten, ist Teil des Mietvertrages. Es handelt sich hierbei um landesweite Vereinbarungen zum Schutz ehemaliger Eisenbahner. Sie wurden im Rahmen der Privatisierung hart erkämpft. Daher gilt sie selbstverständlich auch für die aktuellen Eigentümer.“

Bedingt gesprächsbereit

Vivawest zeigt sich zwar gesprächsbereit und will nach individuellen Lösungen und Ersatzwohnungen suchen, hält die in der Vergangenheit getroffenen Zusagen aber für nicht bindend. „Nach unserer Auffassung ist dieses Schreiben nicht rechtsgültig, da bereits die eindeutigen Bezeichnungen der Vertragsparteien und ein konkreter Bezug auf einen Mietvertrag fehlen. Somit ist eine zweifelsfreie Zuordnung des Nachtrags zur Haupturkunde der jeweiligen Mietverträge nicht möglich.“

„Hier wird der erweiterte Kündigungsschutz für ehemalige Eisenbahner in Frage gestellt, obwohl Vivawest die betroffenen MieterInnen kennen muss“, stellt Markus Roeser klar und ist deswegen jetzt auch mit den Gewerkschaften im Gespräch. Für die MieterInnen kommt ein Umzug nicht in Frage. Wer so lange in „den eigenen vier Wänden“ wohnt, der möchte nicht aufgrund eines Neubauprojektes vor die Tür gesetzt werden.


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