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14. Mai 2004 (Bundespolitik)

Zwangsumzüge durch Hartz IV?

In der NRZ wurde am 12.5. ein großer Bericht veröffentlicht, der
nicht zuletzt auch einen Zusammenhang mit dem Verkauf der kommunalen
Wohnungsunternehmens in Aachen herstellt. Der Mieterverein Bochum wird mit der Besorgnis um die Mieterverdrängung zitiert. Die Stadt Bochum dementiert weitgehend. NRZ fragte auch in Köln nach. Wohl das erste mal, dass dieses Problem in der überörtlichen Presse auftaucht.

NRZ 12.5.2004

Hin und her

ARBEITSMARKT / Bei Hartz IV kursieren viele Fragen und Befürchtungen. Etwa die, ob es zu Zwangsumzügen kommt.

AACHEN. Die Frage ist heikel, so heikel, dass Aachens Oberbürgermeister
Jürgen Linden (SPD) vor wenigen Tagen eingestand, es handele sich um "das
schwierigste Rechtsproblem", das er in seiner bisherigen Amtsfunktion zu
lösen hätte. Seit mehr als zwei Jahren quälen sich Rat und Stadt mit der
Überlegung, die städtischen Anteile der kommunalen Wohnungsgesellschaft
Gewoge zu veräußern. Während der Rat mit CDU-Mehrheit das Ansinnen, trotz
danieder liegendem Immobilienmarkt, endlich durchpauken will und der
Regierungspräsident die Stadt zum Verkauf drängt, bremste Linden bisher.
Einer seiner Gründe heißt: Hartz IV.
Werden ab kommendem Jahr, wie in Berlin beschlossen, Arbeitslosen- und
Sozialhilfe zusammengelegt, müssen die Kommunen sämtliche
Unterbringungskosten für die Empfänger des dann gültigen Arbeitslosengeld II übernehmen; bisher wird das Wohngeld für Arbeitslose von den Ländern
erstattet. 12 220 potentielle "Kunden" in Aachen listet die
Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit aktuell auf; 16 Millionen Euro Mehrkosten im Jahr rechnet die Stadt - da müssten Linden die gebotenen 57,09 Millionen Euro für die Gewoge-Anteile eigentlich gerade recht kommen.
Doch den OB quält die Frage, ob die Stadt sich ohne direkten Zugriff auf die Mieten bei immerhin etwas über 7000 Wohnungen nicht noch tiefer in
Haushaltsnöte begibt.
Zahlen dazu kursieren seit Wochen: Die Stadt Köln geht von 95 Millionen Euro Mehrkosten im Jahr aus, Bochum nennt 40 Millionen Euro, der Kreis Neuss 37 Millionen und der Düsseldorfer Regierungspräsident Jürgen Büssow bezifferte jüngst die zusätzlichen Ausgaben der Kommunen landesweit auf 584 Millionen Euro; der Städtetag spricht sogar von 1,2 Milliarden. Vor allem durch die Verlagerung der Unterhaltskosten auf die Kommunen.

Und alle Fragen offen
Auch gut sechs Monate vor dem anvisierten Start ist allerdings offen, ob und wie die Kommunen vom Bund entlastet werden (2,5 Milliarden Euro wurden versprochen), wie die Kooperation von Arbeitsagenturen und Sozialamt (Jobcenter) im Detail strukturiert werden und ob die Bundesagentur für Arbeit es überhaupt schafft, die von Chef Frank-Jürgen Weise kürzlich selbst eingeräumten EDV-Probleme in den Griff zu bekommen.
Zu all dem taucht eine weitere Frage auf: Wird Hartz IV eine Welle von
Zwangsumsiedlungen zur Folge haben? Wer länger als ein Jahr arbeitslos ist, rutscht ab 1.1 2005 sofort in die Sozialhilfe. Der Mieterverein Bochum befürchtet, dass da die bisher genutzten Wohnungen plötzlich teurer sein könnten, als die Miethöchstgrenze des Sozialamts. Fazit: "Wer teurer wohnt, muss umziehen".
Sprecher Aichard Hoffmann hat das mal durchgerechnet, am Beispiel einer
Wohnung der Größe 60 bis 80 Quadratmeter: "Künftige Sozialhilfeempfänger in Bochum können sich maximal Wohnungen bis Baujahr 1969 leisten", in normaler Wohnlage, nicht wärmegedämmt "und ohne Balkon". Heide Ott, Chefin im Bochumer Sozialamt, kann die Befürchtung "nicht bestätigen". Derartige Fragen ließen sich letztlich nur am Einzelfall behandeln. Aber ganz ausschließen mag sie eine Häufung von Zwangsumsiedlungen auch nicht.

Denn:
Statt bisher 9000 Sozialhilfeempfänger hätte die Stadt ab kommendem Jahr
insgesamt bei 19 531 Menschen für Unterkunft zu sorgen. Und ob die alle
schon so wohnen, dass Mietspiegel und Miethöchstgrenze des Sozialamtes nicht erheblich voneinander abweichen?

Günstiger Wohnraum
"Das Hauptproblem ist die Wohnraumversorgung" sagt Erwin Köhler,
Geschäftsführer der Vereinigung Haus & Grund in Bochum - Hartz IV könnte die Lage da lokal durchaus verschärfen. Für größere Familien gebe es schon jetzt kaum mehr günstige Unterkünfte, meint Köhler. Das macht die kommunalen Belastungen schwer kalkulierbar.
Schlimmer ist die Lage in Köln. "Eine Umsiedlungswelle wäre bei uns nicht
möglich", sagt Sozialdezernentin Marlis Bredehorst - "weil wir gar nicht
genug preiswerten Wohnungen haben." 40 Prozent der Sozialwohnungen gehen in den kommenden zwei Jahren in den freien Wohnungsmarkt über, sagt Bredehorst.
Da seien "mietmindernde Maßnahmen" der Behörde wegen zu hoher
Unterkunftskosten durchaus denkbar. Das müsse nicht gleich den Zwangsumzug zur Folge haben. Die Ämter könnten auch von Vermietern verlangen, weniger zu kassieren.
Aber bis man sich mit dieser Frage beschäftigen könne, müssten reichlich
andere Probleme gelöst werden. Immerhin da hat Köln einen Vorsprung. Dank
"Kölner Modell" hat die Stadt schon seit 1998 Erfahrungen in der
Zusammenarbeit von Sozial- und Arbeitsamt im Jobcenter. Doch angesichts von bald 57 523 Arbeitslosengeld II-Kunden, hofft Bredehorst, "dass die
Bundesregierung die Hartz IV-Reform noch verschiebt".
Der Verkauf der städtischen Gewoge-Anteile in Aachen wird noch dauern. Den Verkauf hat OB Linden gestern vorerst gestoppt. Hartz IV hatte er nicht mehr auf seiner Begründung stehen - wohl aber die Kostenfrage:
"Vermögensgegenstände dürfen nicht unter Wert verkauft werden", sagte
Linden. Statt von 57 Millionen waren noch vor zwei Jahren 250 Millionen Euro Erlös im Gespräch. (NRZ)

12.05.2004 DAGOBERT ERNST


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