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27. September 2007 (Ohne Kategorie)

Samstag kommt der Bagger

Mietergärten unter Druck - Es gibt im Ruhrgebiet viele Gärten, für die ihre Nutzer „keine Papiere“ haben. Häufig handelt es sich um Grabeland, das den Mietern und Arbeitern der Industriebetriebe früher zur freien Nutzung überlassen wurde. Die Gartennutzer teilen sich das Land seit langem oft ganz selbstständig auf. Während anderswo englischer Rasen dominiert, werden in den Arbeitergärten noch Bohnen und Kartoffeln, Kirschen und Erdbeeren gezogen. Durch Bauprojekte, Stadtplanung und Privatisierungen gerät diese Freizeit- und Selbstversorgungskultur in den letzten Jahren immer mehr unter Druck. Vor allem nach dem Verkauf von Arbeiterhäusern an Privatleute wird der Garten oft zum Betätigungsfeld für übelstes Mietermobbing. Zum Beispiel in Witten.

Gartenplanierung in Witten

Gartenplanierung in Witten

Witten-Heven, 9.Juni 2007. Mit wachsender Sorge beobachtet Frau Cerejo an diesem Samstag Morgen, was sich vor ihrer Haustür abspielt: Ihr neuer Vermieter, das Ehepaar R., hat in der Nachbarschaft einen Bagger angeheuert. Der rollt nun, begleitet von der Vermieter-Familie und ihren Unterstützern, auf den Garten zu. Will der Eigentümer in dem schwelenden Rechtsstreit um die Gartennutzung heute vollendete Tatsachen schaffen?
Der Bagger rollt näher. Mutig stellt sich Frau Cerejo davor vor. Sohn Ricardo alarmiert die Polizei. Als diese anrückt, zeigt die Familie Cerejo einen Eilbeschluss des Amtsgerichtes vor, der ihren Besitz an dem Garten bestätigt. Da nimmt der Vermieter die Beamten beiseite. Danach will die Polizei von Mie-terrechten nichts mehr wissen. Sie fordert die protestierende Familie auf, ins Haus zu gehen, weil sonst eine Anzeige wegen Hausfriedensbruches drohe.
Der Eigentümer gibt den Cerejos eine halbe Stunde Zeit, einige Habseligkeiten wegzuräumen. Darauf beginnen die Vermieter ihr zerstörerisches Werk an dem seit 27 Jahren von Familienvater Francico Cerejo geflegten Obstgarten. Kirschen werden kurz vor der Ernte gefällt und einfach auf einen Haufen geworfen. Alles wird planiert.

Rückblende
1980 mietete der Schweisser bei den Edelstahlwerken, Francisco Cerejo, die Werkswohnung von dem damaligen Vermieter, der Veba Wohnstätten AG, an.
Die Wohnung lag im Erdgeschoss und hatte eine Terrasse mit Zugang zum gemeinsam genutzten Hof. Wie überall üblich nahmen die Mieter auch ein dazu gehöriges Stück Gemüsegarten in Nutzung. Es lag hinter der gemeinsamen Wäschewiese auf dem Hang.
Die meisten Mieter der Siedlung nutzten damals so ein Stück Garten. Manchmal lag es direkt am Haus, manchmal auch ein paar Schritte weiter weg am Rande der Siedlung. Wenn ein Stück Land brachlag, fragten manche Mieter bei der Wohnungsverwal-tung an. „Nimm dir das Stück“, hieß es dann. Und damit war gut. In vielen Fällen regelten die Mieter die Landver-teilung auch einfach unter sich. Der Veba war das Recht.
In den Folgejahren gaben Nachbarn der Cerejos ihre Gartenstücke auf. In solchen Fällen war es üblich, dass die Stücke von aktiven Gärtnern mit übernommen wurden. Mit der Zeit übernahm Francisco Cerejo so die Pflege des gesamten Gartens. Er pflanzte Obstbäume, errichtete einen Schuppen.
Vor allem nach der Rente wurde der Garten ein wichtiger Lebensinhalt für Herrn Cerejo. Er war stolz auf seine Kirschbäume und Johannisbeeren. Auch für die Ehefrau und die erwachsenen Kinder Maria und Ricardo wurde es unvorstellbar, in der kleinen Wohnung ohne Garten leben zu müssen.
27 Jahre gab es keine Probleme. Aber dann kam die Privatisierung.

Von der Privatisierung zum Mieter-Mobbing
Im Juni 2004 wurden 220 ehemalige Viterra-Wohnungen in Heven an die Firma Häusserbau veräußert, die dann alle Häuser an Einzeleigentümer weiter verkaufte. Mieterverein und Mieterbeirat Heven erreichten, dass fast allen Mietern Dauerwohnrechte zugesprochen wurden. Auch der Familie Cerejo. Selbstverständlich ging sie davon aus, dass auch der Garten durch das Dauerwohnrecht geschützt sei.
Als im Herbst 2006 das Haus jedoch an das Ehepaar R. verkauft wurde, das wenig später auch einzog, entwickelte sich ein heftiger Streit um den Garten. Der Vermieter begann mit "Aufräumarbeiten" und anderen Schikanen. Es kam zu Beschimpfungen. Familie Cerejo schaltete den MieterInnenverein ein. Der bot an, den Garten hälftig zu teilen. Aber der Vermieter erteilte Gartenverbote und mauerte die Mieter gar auf ihrer kleinen Terrasse ein. Mobbing, wie es im Buche steht.

Räumung trotz Gerichtsbeschluss
Daraufhin erwirkte Mietervereins-Anwältin Gertraud Cölsche beim Amtsgericht Witten einen Eilbeschluss, wonach der Vermieter das hinter dem Haus gelegene Gartenstück an die Mieter herauszugeben, den Besitz wieder einzuräumen und jedwede Besitzstörung zu unterlassen habe. Wenn er das Besitzrecht des Mieters bestreite, müsse er dies durch eine ordentliche Herausgabeklage vor Gericht geltend machen.
Das Vermieterehepaar aber interessierte das wenig. Wozu ist man Eigentümer? Um diese Portugiesen auf dem eigenen Grund Gemüse anbauen zu lassen, während überall in der Nachbarschaft die neuen Eigentümer mit feingeschnittenem Rasen protzen? Solche Motive mögen dazu geführt haben, dass die Vermieter trotz Warnung des Mietervereins auch vor der strafbaren Planierung nicht zurück schreckten.
Bereits mehrfach musste der MieterInnenverein Witten zum Schutz von Gärten in Privatisierungs-Siedlungen aktiv werden. Als Häusserbau in einer anderen Siedlung den Garten eines betagten Mieters kurzerhand wegbaggern wollte, wurde auch schon einmal die Polizei gerufen. Damals führte das zur Klärung, der Bagger zog ab.
Im Fall Cerejo aber hat die Polizei rechtswidrig gehandelt. Der Mieterverein legte Dienstaufsichtsbeschwer-de ein. Gleichzeitig erstattete die Mie-teranwältin Strafanzeige gegen die Vermieter. Die Staatsanwaltschaft wollte die Anzeige wegen fehlenden öffentlichen Interesses zunächst einstellen. Nach einer Beschwerde hat sie das Verfahren jedoch wieder aufgenommen.

"Wir wollen unser Recht"
Inzwischen hat die Vermieter-Anwältin eine Herausgabe-Klage eingereicht. Auf das erneuerte Angebot, den Garten zu teilen, sind die Vermieter im Gütetermin nicht eingegangen. Nun müssen die Mieter beweisen, dass ihnen trotz fehlenden schriftlichen Vertrags der Garten, oder wenigstens ein Teil davon, zusteht. Bis zur Entscheidung könnten die Mieter den Garten nutzen, aber es ist ja nichts mehr übrig.
"Für uns Portugiesen ist es sehr wichtig ein Stück Land zu bebauen und zu ernten", sagt Ricardo Cerejo. "Wir wollen unser Recht."


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