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1. Dezember 2011 (Ohne Kategorie)

DGB: Unsozialticket

Am 1.November wurde in Teilen des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR) ein Ticket für Menschen mit geringem Einkommen eingeführt. Die Monatskarte kostet 29,90 Euro und firmiert als Sozialticket. Diesen Namen verdient dieses Angebot allerdings nicht, findet Michael Hermund, Vorsitzender der Region Ruhr-Mark des Deutschen Gewerkschaftsbundes, in seinem Gastbetrag für MieterForum.

Ein Sozialticket, das aus Sicht des DGB diesen Namen verdient, dürfte höchstens 15 Euro kosten. Dies entspricht auch etwa dem Anteil für Nahverkehr im Regelsatz von Hartz IV. Wenn wir jetzt eine sozialpolitisch, ökologisch und ökonomisch unsinnige Entscheidung vorfinden, dann kann man das nur verstehen, wenn man die unterschiedlichen partei-, macht- und unternehmenspolitischen Ränkespielchen kennt, die sich in den letzten Jahren abgespielt haben.

Bis 2009 war alles klar. CDU und FDP hatten in den VRR-Gremien die Mehrheit. Sie waren gegen ein Sozialticket. SPD und Grüne votierten dafür und demonstrierten in Dortmund, welch großen Bedarf es für ein Sozialticket gibt.

Bei der Kommunalwahl 2009 verloren CDU und FDP ihre Mehrheit im VRR. Überraschend einigten sich CDU und Grüne auf eine Koalition im VRR. Viele sahen hierin ein Signal für die bevorstehende Landtagswahl. Die CDU ließ sich diesen Machterhalt im VRR und die Perspektive auf einen Machterhalt in Düsseldorf etwas kosten: Sie unterschrieb im VRR-Koalitionsvertrag, dass ein Sozialticket eingeführt wird, das in seiner günstigsten Variante 15 Euro kosten sollte.

Doch die CDU merkte bald, dass ihre Parteibasis das Sozialticket nicht mitträgt. Die Einführung des Sozialtickets wurde vertagt und eine "Marktforschungs-Studie" in Auftrag gegeben. Aus schwarz-grün in NRW wurde nichts. Gleichzeitig starteten die Verkehrsunternehmen – allen voran der Vorstand der BOGESTRA – eine in diesem Umfang bisher nie dagewesene Kampagne gegen das Sozialticket.

Die BOGESTRA entwickelte Schreckensszenarien. Dabei wurde so getan, als wenn der Nahverkehr wirtschaftlich arbeitet und durch das Sozialticket ins Defizit gerate. Fakt ist, dass der öffentliche Nahverkehr als öffentliche Daseinsvorsorge nur zu rd. 50 % aus eigenen Einnahmen finanziert wird. Die andere Hälfte wird von öffentlichen Zuschüssen gedeckt. Der Ballungsraum Ruhrgebiet wäre schon lange einem Mobilitätskollaps erlegen, würde nicht der öffentliche Nahverkehr die Straßen entlasten.

Im VRR Bereich gibt es 1,2 Millionen Menschen, die Anspruch auf Arbeitslosengeld II, Sozialgeld oder Wohngeld haben. Sie werden von der öffentlichen Daseinsvorsorge Nahverkehr ausgeschlossen. Sie sind nicht in der Lage eine Monatskarte zu kaufen, ohne Abstriche z. B. beim Essen oder anderen existenziellen Dingen zu machen. Nur eine kleine Minderheit von ihnen ist Abo-Kunde der Nahverkehrsunternehmen.

Das "Sozial"-Ticket für 30 Euro wird jetzt z. B. von Aufstockern genutzt. Sie erhalten einen so niedrigen Lohn, dass sie zusätzlich Hartz IV zum Leben brauchen. Sie müssen bisher die teuren Monatskarten für die Fahrt zur Arbeit nutzen und freuen sich, dass sie jetzt 20 Euro weniger im Monat zahlen müssen, dafür allerdings weniger Leistung in Kauf nehmen. Als Gewerkschafter begrüße ich diese Einkommensverbesserung.

In Dortmund haben in der Versuchsphase 2009 über 24.000 Menschen das Sozialticket zum Preis von 15 € abonniert. CDU und SPD haben inzwischen den Preis auf 31 Euro erhöht. Nur 7.700 Nutzer sind übrig geblieben.

Aus Marketinggesichtspunkten muss das Sozialticket also so attraktiv sein, dass viele neue Kunden gewonnen werden. Nur so können die Verluste durch Bestandskunden, die auf das billigere Ticket wechseln, ausgeglichen werden. Gerade das wird mit einem Preis von 29.90 € in keiner Weise erreicht. Die ersten vorliegenden Zahlen bestätigen unsere Prognose: Mit dem 30-Euro-Ticket werden kaum neue Kunden gewonnen. Das ganze erweist sich als der von uns vorhergesagte Flop. Weniger als 3 Prozent der Berechtigten haben im November in Bochum und Hattingen das Ticket gekauft. Alles andere wäre nach den Erfahrungen in Dortmund auch eine Sensation gewesen.

Am Ende der Versuchsphase in 12 Monaten wird sich die Frage neu stellen: Gibt es endlich eine Lösung die ökonomisch gut für die Verkehrsunternehmen, ökologisch notwendig für das Ruhrgebiet und noch leistbar für die Betroffenen ist. Dann wären wir wieder bei einem verbundweiten Variante von 15 €.


>>> Rechtsberatung für Mieterinnen und Mieter
 

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