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1. Juli 2003 (Aus den Städten)

Schrumpfende Städte - entspannte Märkte?

„Es hilft alles nichts, ich muss Ihnen gleich am Anfang die Laune verderben.“ Der erste Auftritt eines Organisationsfremden auf der öffentlichen Kundgebung eines DMB-Mietertages sorgte nicht nur wegen der entschuldigenden Einleitung für Furore. Denn Prof. Volker Eichener vom Bochumer INWIS-Institut hatte für seinen Vortrag über „Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Wohnungsmärkte“ die neueste Bevölkerungsprognose des statistischen Bundesamtes mitgebracht. Und nach der sieht’s düster aus in Deutschland.

Von 85 Mio. im Jahre 2000 wird die in Deutschland lebende Bevölkerung bis zum Jahr 2050 auf 75 oder gar nur 65 Mio. Einwohner sinken. Die Alterspyramide kehrt sich dabei vollständig um, die Zahl der über 60-jährigen wird sich verdoppeln. Die Zahl der Haushalte steigt noch bis 2015, weil der Trend zu kleineren Haushalten noch anhält, sinkt dann aber ebenfalls.
Ursache ist natürlich die Geburtenrate. Von 4,7 Kindern pro Frau auf knapp 1,4 ist sie in den letzten 100 Jahren gesunken. 2,2 wäre erforderlich, um die Bevölkerungszahl stabil zu halten. Schon jetzt bleiben 30 % aller Frauen ihr Leben lang kinderlos. Nur noch in jedem dritten Haushalt leben Kinder. An diesem Trend, so Eichener, könne man auch nichts mehr ändern, selbst durch eine Verdoppelung der Geburtenrate nicht. 35 Jahre nach dem Pillenknick gibt es einfach nicht mehr genug potenzielle Eltern.

Wohnungsmärkte im Wandel
All das hat nicht nur gravierende Konsequenzen für die sozialen Sicherungssysteme, sondern auch für die Wohnungsmärkte. Denn, so Eichener, „die Standardwohnung, die wir 50 Jahre lang gebaut haben, wird den differenzierteren Bedürfnissen von heute nicht mehr gerecht.“ Die Familie mit Kindern ist ein Auslaufmodell, Hauptnachfrager auf dem Wohnungsmarkt werden schon bald die über 60-jährigen sein.
Vorbei sei auch der Eigenheim-Boom der 90er Jahre, als die geburtenstarken Jahrgänge der 50er ihren entsprechenden Bedarf deckten. Heute haben sich andere Lebensformen einen Platz erobert, Mobilität ist gefragter als Eigentum.
Zunehmen wird hingegen die Armut - wie schon seit Jahrzehnten. Die Ausgaben für Sozialhilfe haben sich in den letzten 40 Jahren vervierfacht, und auch in Zeiten guter Konjunktur ist die Armutsquote nicht gesunken. Nach Eicheners These wird die arm-reich-Polarisierung zunehmen, und die bereits bekannten wohnungspolitischen Problemgruppen wachsen am schnellsten: Arme, Ausländer, Alleinerziehende ... Trotz weiterer Entspannung auf vielen Wohnungsmärkten bleibe es also eine Aufgabe der Wohnungspolitik, Versorgungsprobleme zu lösen.

Regionale Unterschiede
Sehr unterschiedliche Entwicklungen sagte Eichener den verschiedenen Regionen voraus. Vor allem die Stadt-Umland-Wanderung setzt sich fort. Essen schrumpft um 20 Prozent, Sprockhövel wächst um den gleichen Betrag. Hauptursache seien die Bodenpreise. Die Nachfrage nach Eigenheimen werde deutlich sinken, die Preise einbrechen. Für manchen, der auf den Widerverkaufswert geschielt habe, werde sich das Eigenheim noch als schlechte Geldanlage entpuppen.
In Bochum werde es 2015 3500 leerstehende Wohnungen geben, in Essen jedoch 25.000. Die Folgen würden am schlimmsten dort, wo Wohnungsgesellschaften auf zunehmende Vermietungsprobleme mit Privatisierung und Einzelverkäufen reagiert hätten. Denn in Vierteln mit 20 bis 30 % Eigentümern, die weder wegziehen wollten, noch Geld für Modernisierungen hätten, gäbe es kaum Handlungsspielraum für Maßnahmen der Stadterneuerung.
Insgesamt prognostizierte Eichener für die Zukunft Wohnungsmärkte, die sich immer weiter segmentieren. Neben einem allgemeinen Überangebot werde es weiterhin Neubau für bestimmte Bedarfe geben müssen.


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