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15. Juni 2018 (Bundespolitik)

Riesiger Mangel an bezahlbaren Wohnungen

In deutschen Großstädten fehlen 1,9 Millionen Wohnungen, die für die untere Einkommenshälfte der Haushalte bezahlbar wären. Zu diesem Ergebnis kommt aktuell eine Studie, die die Hans-Böckler-Stiftung durch Auswertung der Daten des letzten Mikrozensus erstellen ließ. Unter den 77 Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern ist Freiburg trauriger Spitzenreiter. Hier finden 42,7 % aller Haushalte, die nicht mehr als das Durchschnittseinkommen erzielen, keine bezahlbare Wohnung. Es folgen Bremen mit 42,1, Saarbrücken mit 41,8 und Bonn mit 41,1 %. Doch auch im Ruhrgebiet sieht die Situation alles andere als rosig aus. Das Schlimmste daran: Der letzte Mikrozensus fand 2014 statt. Seither hat sich die Wohnungsmarktlage vor allem in den Großstädten nicht nur, aber auch durch den Flüchtlingszuzug noch einmal deutlich verschärft.

Die Studie, die die Wissenschaftler Andrej Holm, Henrik Lebuhn, Stephan Junker und Kevin Neitzel im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung erstellt haben, ist Pionierarbeit. Wohnungsfehlbestände sind in Deutschland schon oft untersucht worden, aber noch niemals im Zusammenhang mit der Mietzahlungsfähigkeit der Haushalte. Die Studie ging der spannenden Frage nach, wieviel Wohnkosten (bruttowarm) sich die Haushalte angesichts ihres Einkommens eigentlich leisten können, wie groß die Wohnungen für den jeweiligen Haushalt sein müssen, und ob das Angebot in der jeweiligen Preis- und Größenkategorie die Nachfrage befriedigen kann.

Das Ergebnis ist niederschmetternd. Wenn man unterstellt, dass kein Haushalt mehr als 30 % seines Einkommens für das Wohnen ausgeben müssen soll, dann kommen allein in den 77 Großstädten 1,9 Millionen der 13,5 Millionen Haushalte damit nicht hin. 14 % – das ist jeder siebte Haushalt – müssen einen teils deutlich höheren Anteil ihres Einkommens dafür aufwenden, ein Dach über dem Kopf und es darunter warm zu haben.

Arme trifft es am härtesten

Diese Quote von 14 % betrifft allerdings die Gesamtbevölkerung in den 77 Großstädten. Wie nicht anders zu erwarten, sind die Quoten in den unteren Einkommensgruppen erheblich höher: In der Gruppe der Armen, die nur 60 % oder weniger des Durchschnittseinkommens verdienen, liegt der Unterversorgungsgrad bei 49,8 %. Mit anderen Worten: Fast genau die Hälfte muss mehr als 30 % des Einkommens für das Wohnen berappen. Bitter, wenn dieses Einkommen ohnehin schon nur bei 890 € oder noch niedriger liegt.

Ursache für den Mangel ist natürlich auch, dass diese Gruppe der Armen eigentlich nur 4 € pro qm Miete zahlen kann, wenn deren Anteil an den Haushaltsausgaben 30 % nicht übersteigen soll. Zu diesem Preis müsste es 2,8 Mio. Wohnungen geben. Dazu müssten 2,5 Mio. Wohnungen mit einer Miete zwischen 4 und 6 € für Geringverdiener (bis 80 % des Durchschnittseinkommens) kommen. Am anderen Ende der Einkommensskala gibt es 2,2 Mio. Haushalte, die sich auch Mieten über 14 € pro qm leisten können.

Dabei waren die Forscher bei ihren Berechnungen ausgesprochen geizig. Einem 1-Personen-Haushalt billigten sie gerade mal 45 qm Wohnfläche als Obergrenze zu, 2 Personen dann 60 qm, 3 Personen 75 und so weiter. Selbst im Sozialen Wohnungsbau gibt es heute 5 qm mehr. Aber wenn ein armer 1-Personen-Haushalt – diese Gruppe ist am stärksten betroffen – nur 890 € monatlich zur Verfügung hat, ist die Leistbarkeitsgrenze für die Miete bei 267 € im Monat erreicht. Das entspricht, selbst wenn davon nur 45 qm zu finanzieren sind, 5,93 € pro qm, inklusive aller Heiz- und Nebenkosten.

Effekt schiebt sich weiter

Das funktioniert natürlich auch in Städten mit eigentlich ausgeglichenem Wohnungsmarkt nicht. Die Folge: Diese Haushalte weichen in Wohnungen aus, die für sie eigentlich zu groß oder zu teuer sind. Dort verknappen sie dann das Angebot für die nächsthöhere Gruppe. Und so schiebt sich die „Versorgungslücke“ durch die Einkommens- und Größenklassen nach oben. Eine äußerst komplizierte Berechnung, die die Forscher da aus der Differenz zwischen Versorgungsbedarf und Versorgungspotenzial erstellt haben.

Ausgerechnet haben sie dabei für alle 77 Großstädte in Deutschland nicht nur die Anzahl der Wohnungen, die für die jeweiligen Einkommensgruppen fehlen, sondern auch den sogenannten „Unterversorgungsgrad“. Das ist eine Prozentzahl, die die absoluten Werte für die ja sehr unterschiedlich großen Städte vergleichbar macht. Im eingangs erwähnte Spitzenreiter Freiburg fehlen 21.381 Wohnungen, die für Haushalte mit weniger als 60 % des Durchschnittseinkommens leistbar wären. Das entspricht einem Unterversorgungsgrad von 72,3 %. Mit anderen Worten: 72,3 % der Haushalte in dieser Einkommensklasse finden keine Wohnung, die nicht mehr als 30 % ihres Einkommens kosten würde.

Auch Ruhrgebiet nicht rosig

An solche Werte kommen die Städte des Ruhrgebiets zum Glück nicht heran. Doch auch hier herrschen für Haushalte mit wenig Geld keineswegs paradiesische Zustände. Dortmund kommt noch am besten weg. Doch selbst hier finden 10,9 % der Haushalte, die über nicht mehr als Durchschnittseinkommen verfügen, keine bezahlbare Wohnung. In Essen sind es schon 13,2 % und in Bochum sogar 16,6 %. Und die Lage verschärft sich sofort, wenn man nur die armen Haushalte betrachtet, deren Einkommen maximal 60 % des Durchschnitts beträgt. Dann liegt der Unterversorgungsgrad in Dortmund bei 42,6 %, in Essen bei 50,6 % und in Bochum bei 56,9 %. Bochum weist damit Werte auf, die durchaus vergleichbar sind mit den überhitzen Wohnungsmärkten der Rheinschiene (Düsseldorf 13,6 % bzw. 57,7 %; Köln 16,5 % bzw. 59,7 %; Bonn 14,8 % bzw. 58,8%).

Der dortige Mieterverein sieht sich deshalb in seiner Forderung, vornehmlich preiswerten Wohnungsbau zu fördern, bestätigt: „Die Studie zeigt: In Bochum fehlen über 25.000 Wohnungen mit Mieten nicht über 4 € kalt pro qm“, sagt Aichard Hoffmann. „Nach Jahren des Dornröschenschlafs wird jetzt endlich wieder gebaut, aber ganz überwiegend im hochpreisigen Segment. Das wird unsere Probleme nicht lösen.“


>>> Rechtsberatung für Mieterinnen und Mieter
 

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