Es war Polizeiwache, beherbergte „Wohnwächter“ und Geflüchtete. Jetzt soll die alte Polizeiwache in der Alten Benninghofer Straße in Dortmund Hörde ein Ort zum dauerhaften Wohnen werden. Im Wohnprojekt „WIR aufm Revier“ entwickeln gerade ein Dutzend Menschen ihre Ideen vom gemeinschaftlichen Wohnen – und suchen noch Mitstreiter.
Das Haus war zuerst da. Seit den 1960er-Jahren steht es in der Alten Benninghofer Straße, ein rot geklinkerter, langgezogener Bau, nur ein paar Gehminuten von der Hörder Fußgängerzone entfernt. Hinter der Fassade war erst die Dortmunder Polizei angesiedelt, dann ein befristetes Wohnprojekt. Von 2015 bis 2017 wurden hier Geflüchtete untergebracht. Seitdem stand das Haus leer. Das soll wieder anders werden, finden Inga und Jens Lührs, Angela Roelofsen, Evi Müllenberg, Christoph Klein und Rose Marie Neuhaus. Als „WIR aufm Revier“ entwickeln sie dort mit weiteren Mitgliedern ein Projekt zum gemeinschaftlichen Wohnen in mehreren Generationen.
Immer mehr Menschen entdecken gemeinschaftliches Wohnen für sich; in den vergangenen Jahren sind Wohnprojekte für Ältere und Menschen mit Behinderungen, Frauen und über Generationen hinweg entstanden, mehrere in Gründung. Den Bewohnern geht es meist nicht nur ums gemeinsame Wohnen, sondern auch darum, Leben, Nachbarschaft und Alltag gemeinsam zu gestalten. „Ich habe eine große Familie und mag das auch“, erzählt Angela Roelofsen, die seit einiger Zeit allein lebt und das ändern möchte. Schon vor einigen Jahren hat sie sich einmal einem Wohnprojekt angeschlossen, irgendwann war es aber nicht mehr das, was sie suchte. Im E-Mail-Verteiler der Dortmunder Wohnprojekte-Entwicklerin Birgit Pohlmann blieb sie aber – „und als dann das Angebot zur Polizeiwache kam, wusste ich: Das ist es.“
In diesem Verteiler waren auch Inga und Jens Lührs, Evi Müllenberg und einige andere in den vergangenen Jahren gelandet und hatten sich immer mal wieder Eindrücke von bestehenden Wohnprojekten gemacht. Die Idee von der alten Polizeiwache gefielt allen so gut, dass es jetzt ihr neues Zuhause werden soll. Warum man sich für ein solches Wohnmodell entscheidet? „Als Kind habe ich in einer Siedlung gewohnt, in der viele berufstätige und alleinerziehende Eltern lebten. Da war es selbstverständlich, dass wir Kinder ständig bei den Nachbarn waren und die Nachbarskinder bei uns. Die gegenseitige Unterstützung finde ich sehr positiv“, erklärt Jens Lührs. „Eine funktionierende Nachbarschaft – ein echtes Zuhause, und das mitten in der Stadt – ist für uns ganz wichtig“, ergänzt Inga Lührs. Und irgendwie geht es auch ums Prinzip, findet Evi Müllenberg: „Ich glaube, dass die Individualisierung unserer Gesellschaft nicht gesund ist, und dass das Leben und der Austausch in einer generationenübergreifenden Gemeinschaft mit selbstverständlicher Begegnung den Menschen gut tut.“
Rund 22 barrierefreie Wohneinheiten von 40 bis über 100 Quadratmeter sollen in der Alten Benninghofer Straße entstehen, im Dachgeschoss sind ein Gemeinschaftsraum und eine große gemeinschaftliche Dachterrasse geplant, begrünte Balkone und Carportdächer und ein Garten hinter dem Haus sorgen für gewünschtes Grün. „Das Schöne ist: Wir können hier alles von Anfang an selbst gestalten“, freut sich Inga Lührs. Aus der Sechsergruppe ist mittlerweile ein gutes Dutzend Parteien geworden, die sich fest zur künftigen Adresse „Alte Benninghofer Straße 16-18“ entschlossen haben.
40% der Wohnungen werden dank öffentlicher Förderung preisgebunden sein und Menschen mit Wohnberechtigungsschein zur Verfügung stehen. Damit das, was im Moment nur auf Bildern existiert, Wirklichkeit wird, bekommt „WIR aufm Revier“ Unterstützung von Experten: Wohnprojekteentwicklerin Birgit Pohlmann, Architekt Norbert Post und Finanzberater Rolf Lückmann begleiten das Projekt. „Wir werden toll beraten“, betonen die zukünftigen BewohnerInnen. Die Planungsgruppe hilft bei der Einbindung neuer Interessenten, den nötigen Formalitäten vom Kauf bis zum Bauantrag und bei der Finanzplanung. Zur Finanzierung wurde ein eigenes Finanzkonstrukt entwickelt: Formal ist „WIR aufm Revier“ eine GbR und unter der Bochumer Dachgenossenschaft „Ko-operativ NRW“ organisiert, die auch Eigentümerin des Hauses sein wird. Wer einzieht, muss Mitglied bei der „Ko-operativ NRW eG“ werden und 600 Euro pro Quadratmeter als Eigenanteil mitbringen, den man bei Auszug wieder zurückerhält. Die monatliche Miete wird den laufenden Kredit tilgen. Die Kaltmiete für die frei finanzierten Wohnungen soll bei rund 9 Euro liegen, die öffentlich geförderten Wohnungen sollen nicht mehr als 5,50 Euro (bzw. 6,30 Euro bei einem sogenannten
„B-Schein“) pro Quadratmeter kosten. Die Genossenschaftsmitglieder zahlen also gemeinsam ihr Haus ab.
Der Ort hat eine Geschichte. Während des Nationalsozialismus folterte die Gestapo in der damaligen Hörder Wache Gefangene und organisierte von hier aus auch die Ermordung hunderter ZwangsarbeiterInnen und Oppositioneller in den letzten Kriegswochen im April 1945. Das Gebäude wurde im Krieg fast vollständig zerstört, am Neubau hält eine Gedenktafel die Erinnerung aufrecht. Von 2015 bis 2017 waren hier Geflüchtete untergebracht. „Refugees Welcome“ steht noch heute in roten gesprühten Buchstaben an der Fassade. „Ich kann mir gut vorstellen, hier vielleicht gemeinsam mit der Geschichtswerkstatt oder der Gedenkstätte Steinwache einen Ort des Gedenkens zu schaffen“, sagt Angela Roelofsen. „Aber wie so etwas aussehen kann, steht noch in den Sternen.“
Bis aus der Polizeiwache eine große Wohngemeinschaft wird, soll es nicht mehr lange dauern. Wenn der Kauf abgewickelt und der Bauantrag gestellt ist, kann es mit dem Umbau losgehen. Der Einzug ist für Ende 2020 geplant.
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