Nach einer monatelangen Hängepartie hat die VBW am 7. Oktober den Mietern der Vogelsiedlung ihre Pläne vorgestellt: Die Häuser Amselweg 10 bis 16 und Lerchenweg 16 bis 22 sollen energetisch modernisiert werden. Die Häuser Heckertstraße 92, 92a, 94 und 94a aber sollen abgerissen und durch barrierefreie Neubauten ersetzt werden. Bei den betroffenen Mietern hätten die Reaktionen kaum unterschiedlicher sein können: Grenzenlose Erleichterung und Tränen der Verzweiflung.
Parallel zur der Mieterversammlung, zu der die VBW ins Gasthaus Goeke an den Grummer Teichen eingeladen hatte, verbreitete sie eine Pressemitteilung. Darin spricht sie von einer „Qualitätsoffensive Vogelsiedlung“. 2,85 Mio. Euro will sie in die energetische Modernisierung der Häuser am Amsel- und am Lerchenweg stecken. Die Dächer werden erneuert und wärmegedämmt, die Fassaden gedämmt, Fenster, Haus- und Wohnungseinganstüren sowie die Balkone werden ebenso erneuert wie die Schließ-, Klingel-, Sprech- und Briefkastenanlagen. Treppenhäuser werden saniert, die Hauseingänge erhalten Vordächer, Außenanlagen und Wege werden neu gestaltet. Die Mieten sollen danach nur um 60 Cent pro qm steigen, da die Modernisierung öffentlich gefördert sein wird. Die Heizkosten sollen in gleichem Umfang sinken, „so dass unsere Kunden warmmietenneutral unterwegs sind“, sagte VBW-Geschäftsführer Norbert Riffel. Natürlich hörten die betroffenen Mieter, die auch während der Arbeiten in ihren Wohnungen bleiben können, diese Nachrichten gerne.
Ganz anders die Situation in den beiden Doppelhäusern an der Heckertstraße. Sie sollen abgerissen werden und barrierefreien Neubauten weichen. „Gerade in unserer alternden Bevölkerung sind solche Wohnungen für ein selbstbestimmtes Wohnen im Alter entscheidend“, sagt Marco Biewald, Abteilungsleiter Vermietung bei der VBW.
4 der 16 Wohnungen an der Heckertstraße stehen bereits leer. 12 Mietparteien müssen also weichen. Für sie hat Marco Biewald Lösungen parat: „Wir können innerhalb der Vogelsiedlung 6 Wohneinheiten zum Umzug anbieten. Darüber hinaus haben wir in Grumme einen Bestand von 1.800 Wohnungen. Ersatzwohnraum ist also vorhanden.“
Die Rechnung stimmt so allerdings nicht, denn 4 der 6 leeren Wohnungen in der Siedlung befinden sich ja in der Heckertstraße, werden abgerissen und stehen also als Ersatzwohnungen nicht zur Verfügung. 2 Leerstände im Lerchenweg werden ergänzt durch eine Wohnung, die zum Jahresende frei wird, weil die Mieter gekündigt haben. In der Siedlung selbst stehen also nicht 6, sondern nur 3 Ersatzwohnungen zur Verfügung. Und unter den Mietern der Heckertstraße sind etliche, denen man einen Wohnortwechsel eigentlich nicht mehr zumuten kann. Entsprechend verzweifelt waren die Reaktionen.
Heinz Eberhard wohnt 24 Jahre in der Heckertstraße 94a. Er ist bereits von der VBW besucht worden, als Mieterforum die Betroffenen am 19. November trifft, aber dann kam nichts mehr. „Sie haben ein paar mal versprochen, dass sie renovieren. Ich hätte gern gewusst, wie es weitergeht. Die Ungewissheit in meinem Alter macht mich kaputt. Ich halt das nicht mehr aus.“
Christel Debsky aus der Heckertstraße 92a wohnt sogar schon 60 Jahre hier. Es war ihre erste eigene Wohnung, die sie mit ihrem Mann bezog. Sie hat ihre Kinder hier großgezogen und ihren Mann bis zu seinem Tode gepflegt. „Es fällt mir ganz schwer, hier auszuziehen. Es hängt viel Herzblut an meiner Wohnung.“ Auch sie ist bereits von der VBW kontaktiert und nach ihren Wünschen bezüglich Ersatzwohnraum gefragt worden. Nach 3 Wochen sollte sie etwas hören, doch es kam nichts.
Manfred Jung, Heckertstraße 92, heißt nur so, ist aber auch schon 84 Jahre alt. „Das ist für mich schon das zweite mal, dass ich rausmuss. Erst aus der Parallelstraße hierher und jetzt wieder. In dem Alter, in dem ich jetzt bin, ist das schwierig, jetzt noch woanders hinzuziehen. Zumal ich auch noch blind bin.“
Frank Schwarzenberg und seine Frau Helga wohnen seit 25 Jahren in der Heckertstraße 94 und wollen von dort nicht weg. Sie empfinden die Entscheidung der VBW als willkürlich: „Es ist nicht ersichtlich, dass die Häuser in der Heckertstraße in schlechterem Zustand wären als die anderen. Warum reißt man sie ab?“
Anders ist natürlich die Stimmung bei den Mieterinnen im Lerchen- und im Amselweg. Aber es klingt auch Solidarität mit den bedrängten Nachdarn durch, wenn Brigitte Hennen aus dem Lerchenweg 16 sagt: „Ich wohne seit 1988 hier. Wir sind natürlich erleichtert, dass wir wohnen bleiben können, aber uns tun die Menschen leid, die in der Heckertstraße wohnen und ausziehen sollen.“ Ihre Nachbarin Monika Borges sieht es ähnlich: „Wir wohnen gerade eineinhalb Jahre hier, und für uns wäre es fatal gewesen, wenn wir nach so einer kurzen Zeit wieder hätten ausziehen müssen. Aber trotzdem tun uns die Leute aus der Heckertstraße leid.“
Erstaunlich wenig ist passiert in den 6 Wochen zwischen der Mieterversammlung und diesen Gesprächen. Eigentlich sollte man meinen, dass die VBW es eilig hat mit dem Finden von Ersatzwohnraum. Denn der Zeitplan, den sie sich selbst gesetzt hat, ist extrem eng für eine Maßnahme dieser Größenordnung. Schon im Sommer sollen die Modernisierungsarbeiten beginnen, im September dann die Abrisse erfolgen.
„Die VBW kann hier nicht mit Kündigungen arbeiten. Viele Mieter haben aufgrund der langen Wohndauer 9 Monate Kündigungsfrist,“ sagt York Redeker, zuständiger Rechtsberater beim Mieterverein. Also muss die VBW darauf setzen, dass die Mieter freiwillig ausziehen und ihnen entsprechend gute Angebote machen. Redeker: „Für die Mieter ist das eigentlich eine komfortable Position. Sie haben alle Trümpfe in der Hand und müssen keineswegs die erstbeste Ersatzwohnung nehmen. Aber die nervliche und emotionale Belastung ist natürlich sehr hoch.“
Das Vorgehen der VBW hat unterdessen ein Nachspiel im Stadtrat. Vor allem DIE LINKE und die CDU hatten sich vor der Kommunalwahl für den Erhalt der Siedlung stark gemacht und stehen auch nach der Wahl zu ihren Worten. Die CDU hat jetzt eine Anfrage im Rat gestellt. Sie will wissen, warum die seit 2012 immer wieder versprochene Sanierung nicht stattgefunden hat und warum die Häuser an der Heckertstraße anders beurteilt werden als die im Amsel- und im Lerchenweg. Die Antwort steht noch aus und könnte peinlich werden für die VBW.
Die Antwort auf die Anfrage der CDU im Bochumer Rat steht noch aus: Warum wird die Zukunft der Häuser an der Heckertstraße von der VBW anders gesehen als im Amsel- und im Lerchenweg? Die Bausubstanz scheint identisch. Vielleicht: Die Häuser stehen quer zur Straße, ragen in den Innenhof hinein, verkleinern ihn. Die Neubauten sollen längs zur Straße errichtet werden. Vielleicht auch: 4 der 16 Wohnungen stehen bereits leer. Entsprechend weniger Mieter müssen umgesiedelt werden.
Aber: In den betroffenen Wohnungen an der Heckertstraße wohnen etliche hochbetagte Mieter mit vielen Jahrzehnten Wohndauer, für die eine Veränderung unvorstellbar, ja beängstigend ist. Tränen sind geflossen an jenem 7. Oktober und fließen immer noch, wenn man mit den betroffenen Mietern spricht.
Durch nichts nachvollziehbar ist der Zeitplan, den die VBW vorlegt. 2012 ist den Mietern eine umfassende Sanierung versprochen worden. 8 Jahre lang ist nichts daraus geworden. Jetzt aber holterdiepolter: Schon Mitte 2021 sollen die Modernieserungen beginnen, im September Abriss und Neubau.
Seid ihr eigentlich noch zu retten, möchte man die Verantwortlichen an der Wirmerstraße fragen. Was soll die plötzliche Eile? Gerade diese älteren Mieterinnen und Mieter, für die eine Veränderung der Wohnsituation ist, als würde man einen alten Baum rausreißen, haben ohnehin nur noch wenige Jahre, in denen sie selbstbestimmt in einer eigenen Wohnung leben können. Wieso könnt ihr nicht wenigstens warten? Weil das Mietausfälle bedeuten würde – Gewinneinbußen? Pfui Deibel!
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