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12. Juli 2011 (Ohne Kategorie)

Das Wunder von Osterholz-Tenever

Reisen bildet. Und eine Reise in Bremens Vorort Osterholz-Tenever bildet vor allem Jene, die sich mit dem Thema "Wohnen zur Miete" befassen und mit den Problemen, die es da so gibt. Eines der drängensten Probleme sind derzeit die sogenannten "Schrottimmobilien". Und über den Umgang mit denen kann man einiges lernen in Tenever.

Wenn man an der Otto-Brenner-Straße am südöstlichen Stadtrand von Bremen in Hörweite der A 27 aus dem Bus steigt, glaubt man sich in einer anderen Welt. Vor den Augen des Betrachters liegen Hochhausklötze mit bis zu 15 Etagen, wie sie auf dem Planeten Erde im Kontinent Europa in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts gebaut worden sind. Aber die Häuser sehen aus, als seien sie gestern erst fertig gestellt worden: Die Fassaden erstahlen in hellstem Weiß, alles ist picobello sauber und weite Grünflächen erstrecken sich zwischen den Hochhäusern.

Es sind 20 Wissenschaftler, Stadtplaner und Mietervereins-Beschäftigte, die hier am Freitag, dem 13. Mai aus dem Bus steigen. Empfangen werden sie von einem Duo, dass man getrost als "seltsames Gespann" bezeichnen kann. Es sind der für dieses Quartier zuständige Geschäftsbereichsleiter der städtischen Wohnungsgesellschaft GeWoBa, Ralf Schumann, und der Quartiersmanager Joachim Barloschky. Beide sind längst daran gewöhnt, Gruppen durch die Siedlung zu führen, die die FAZ im vorigen Jahr als "das Wunder von Osterholz-Tenever" bezeichnet hat.

Denn noch vor zehn Jahren galt das Quartier als hoffnungsloser Fall. 2600 Wohnungen im hochverdichteten Beton-Stil, in denen fast nur Hartz-IV- und Sozialhilfe-Bezieher wohnten. Ursprünglich Neue Heimat war das Gettho nach deren Pleite von der städtischen GeWoBa übernommen worden, mit 40.000 Wohnungen eine der größten kommunalen Gesellschaften.

Ein Modell, das GeWoBa und Stadt ausgehandelt hatten, und das eigentlich gut klingt, hatte schneller als anderswo für eine Konzentration Einkommensschwacher gesorgt: die einkommensabhängige Miete. Geringverdiener zahlten wenig, Besserverdienende mehr. Doch diese wurden immer weniger, je mehr das Viertel herunterkam. Auf dem Höhepunkt des Niedergangs wohnten fast nur noch Menschen hier, deren Miete "vom Amt" kam. Anfang des neuen Jahrtausends standen 65 Prozent der Wohnungen leer, die Kriminalitätsrate war hoch.

Als Schumann und Barloschky die Gruppe durch das Quartier führen, ist davon nichts mehr zu sehen. Die Häuser sind saniert , auch energetisch, die dunklen Ecken verschwunden, die Eingänge alle auf der gleichen Ebene, groß und hell. In manchen sitzt ein Concierge. Überall bieten Wegweiser Orientierung, das Gelände macht trotz der hohen Häuser einen weitläufigen Eindruck.

Kein Wunder: 930 Wohneinheiten wurden hier abgerissen zugunsten von Licht und Luft. An allen Ecken sind Spielplätze und Plätze mit Aufenthaltsqualität für Erwachsene. Ein Sportplatz ist neu angelegt, ein Bad lädt zum Schwimmen ein. Gemeinschaftseinrichtungen sind groß und leuchtend beschriftet. Und das "OTe-Zentrum" enthält das Servicebüro der GeWoBa.

Hinter diesem Wandel stecken allerdings 75 Millionen Euro, 30 davon von der Stadt Bremen und weitere 3 aus Fördermitteln des Programms "Stadtumbau West", sowie sechs Jahre Umbauzeit. Eine Zeit, in der die Mieter intensiv beteiligt wurden an der Umgestaltung. Joachim Barloschky, den Quartiersmanager, kennt hier jedes Kind. "Hallo Barlo!" flötet es an jeder Ecke - auch Vorschulkinder scheinen stolz darauf, den Sozialarbeiter zu kennen. Denn nein, hier wurden nicht nur Steine bewegt. Über 300 Projekte wurden seit 1998 realisiert, darunter Kinderbauernhof, Recyclingbörse, Sprachkurse, Interkulturelle Werkstatt, Bewohnerfonds.

Über all das - sogar über Geld - diskutiert und entscheidet die "Stadtteilgruppe Tenever", zu der Wohnungsunternehmen, Mieter, Politik, Verwaltung, Soziale Einrichtungen und Gewerbetreibende gehören, moderiert von Barloschky und seinem Team. Und es funktioniert. Die Häuser sind nicht wieder vergammelt, aber inzwischen wieder voll vermietet. Noch immer leben die meisten Mieter von "Stütze", aber der Anteil der Selbstzahler steigt. Bei gleichbleibend hohem Migranten-Anteil sind die Nachbarschaften stabil. Und die Mieten sind immer noch erschwinglich: Eine 75-qm-Wohnung kostet 500 Euro warm.

Ein Wermutstropfen ist die Antwort auf die Frage, wie sich das alles kaufmännisch rechnet. Denn das tut es nicht. "Wir zahlen drauf", sagt Ralf Schumann. "Aber wir betrachten das als Verlustminimierung. Bei der hohen Leerstandsquote war das Minus vorher größer, und es gab keine Perspektive. Und wenn man 40.000 Wohnungen hat, kann man Verluste aus 1450 davon schon ein wenig kompensieren."


>>> Rechtsberatung für Mieterinnen und Mieter
 

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