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11. September 2014 (Aus den Städten)

Von Detroit lernen

„Detroit gilt als der Inbegriff der postindustriellen Stadt. Der Rückzug der großen Industrien hat diese Stadt massiv verändert. Auch im Ruhrgebiet begann der Strukturwandel in den 60er Jahren. Doch der Prozess der Deindustrialisierung hat hier sein Ende noch nicht erreicht. Die sozialen Tragödien und der Verfall des Ruhrgebiets werden hinter dem Wortgeklingel „Metropole Ruhr“ oder „Region im Wandel“ versteckt. Wir möchten ihnen hingegen tatsächlich ins Auge sehen: der Armut, der sozialen Segregation, der Abwanderung, dem Leerstand und der Langeweile. Wir wollen dem Vergleich des Ruhrgebiets mit Detroit weder zustimmen noch widersprechen, sondern vielmehr die Frage stellen: Was kann das Ruhrgebiet von Detroit lernen?“

So lauten die ersten Sätze des „Manifest für ein Recht auf Stadt im Ruhrgebiet“, das Anfang September veröffentlicht wurde. MIETERFORUM sprach mit den Initiatoren.

MF: Wie kam es zu dem Manifest?

RaSR: Das war ein längerer Prozess. Letztes Jahr haben wir mit verschiedenene Initiativen und Einzelpersonen eine Recht-auf-Stadt-Aktionskonferenz in Bochum organisiert. Dem vorausgegangen war eine mehrmonatige aktionsorientierte Reihe zum Thema. Das hatte den Anstoß gegeben. Bei vielen gab es schon länger das Bedürfnis mal auf den Punkt zu bringen, was hier im Ruhrgebiet eigentlich passiert, mal die Kritik an den Zuständen, unser Unbehagen und unser Begehren nach etwas Anderem auszuformulieren. Und so haben wir auf dem Nachbereitungstreffen beschlossen, dass wir in einem offenen Treffen regelmäßig weiter diskutieren. Wir haben dann einzelne Aspekte gesammelt, die uns bewegen, die wir wichtig finden, und die haben wir uns genau angeschaut und intensiv diskutiert.

Das Manifest soll nur ein Zwischenstand unserer Diskussionen sein und mehr Menschen motivieren sich einzumischen.

MF: Was meint ihr mit dem Begriff Recht auf Stadt?

RaSR: Die Forderung nach einem „Recht auf Stadt” geht auf den franzöischen Soziologe Henri Levrebre zurück. Er formulierte sie vor dem Hintergrund der Verdrängung der Armen im Paris der 60er Jahre. Das „Recht auf Stadt” beschreibt er als ein„Recht auf Nichtausschluss”. Die Einforderung des Rechts auf Stadt zielt auf eine kollektive Wiederaneignung des städtischen Raums durch die an den Rand gedrängten Gruppen.  Als Ausdruck dieser Idee sind weltweit, und in Deutschland vor allem in Hamburg und Berlin, Netzwerke entstanden, die verschiedene Forderungen zusammenbringen.

MF: Wie seht ihr das Ruhrgebiet aktuell?

RaSR: Das schrumpfende Ruhrgebiet unterscheidet sich ganz erheblich von den wachsenden Metropolen wie Hamburg oder Berlin. Das Ruhrgebiet ist arm, seine Städte praktisch pleite. Wir sehen dennoch viele Chancen für ein solidarisches und offenes Ruhrgebiet, aber eben auch zu viele Akteure und Missstände, die spannende Prozesse verhindern.

Dabei gibt es viele kleine Projekte von Stadtteilläden, Gemeinschaftsgärten oder künstlerische Initiativen, die versuchen kollektives Leben zu kreieren. Aber grade diese werden häufig vor den Kopf gestoßen, u.a. von den Stadtverwaltungen. Sie bekommen auch von der Politik viel zu wenig Unterstützung. Stattdessen dreht sich in der Politik alles um den schnellen Euro durch den neuen Investor, der dann doch nur prekäre Jobs schafft und kurze Zeit später weiterzieht. Die Städte sollten sich wieder verstärkt um ein würdevolles Leben für alle Bevölkerungsteile bemühen, statt wie die Kulturhauptstadt Macher in verrückte Vergleiche mit Paris oder London einzusteigen.

Die Städte sind pleite. Das Modell des „Strukturwandels” der letzten 50 Jahre ist gescheitert, sieht man mal von der großen und vielfältigen Universitätslandschaft ab. Der industrielle Sektor ist aber in der offiziellen Wahrnehmung immer noch sehr wichtig, obwohl ein Betrieb nach dem anderen dicht macht. Hier muss endlich ein Umdenken stattfinden.

MF: Ihr schreibt, Gentrifizierung ist kein Problem im Ruhrgebiet. Wir in den Mietervereinen haben aber häufig mit Menschen zu tun, deren Miete massiv erhöht wird. In einigen Ecken des Ruhrgebiets steigen die Mieten erheblich. Zweifelt ihr Segregationsprozesse an?

RaSR: Nein, im Gegenteil. Im Ruhrgebiet gab es immer schon Segregation. Ein Blick auf Essen mit seinem reichen Süden und dem immer schon proletarischen Norden genügt. Diese Prozesse verstärken sich, gerade vielleicht am Sichtbarsten in Dortmund mit dem Phoenix-See und demKreuzviertel und andererseits der Nordstadt. Ecken mit massiv steigenden Mieten gibt es aber bisher wenige. Das ist mit einer Gentrifizierung, wie sie aus London, Frankfurt oder Hamburg bekannt ist, nicht vergleichbar. Die Gründe liegen auf der Hand, das Ruhrgebiet schrumpft, ist vergleichsweise arm und geniesst nicht gerade den Ruf besonders sexy zu sein.

Was häufig übersehen wird, ist, die Miete sollte nicht in absoluten Zahlen betrachtet werden, sondern in Relation zu Einkommen und Sozialleistungen. Tut mensch dies, stehen die vergleichsweise ärmeren Mieter im Ruhrgebiet nicht besser da als jene in Frankfurt.

MF: Was sind eure Wünsche und Forderungen? Was wollt ihr mit dem Manifest letztlich erreichen?

RaSR: In erster Linie wollen wir eine  Auseinandersetzung über das Ruhrgebiet anstoßen , die über die üblichen Stereotype und immergleichen Phrasen  hinausgeht. Wir wollen, dass sich mehr Leute in diesen Diskurs einmischen und das nicht nur den vermeintlichen Experten überlassen.. Reden und machen sind dabei keine Gegensätze für uns. Wir freuen uns über Beiträge und Kritiken zu unserem Manifest. Toll wäre es, wenn daraus eine intensive Diskussion erwächst.

Zum anderen ist es höchste Zeit das Beste im Ruhrgebiet zu nutzen, die ungenutzten Flächen und Leerstände, um diese nachbarschaftlich und solidarisch zu gestalten. Um das Recht auf deren Nutzung zu kämpfen, Gerade auch als Gegenpol zum Verlust öffentlicher Räume und zu Ausgrenzungsprozessen.  Vermutlich braucht es erst Druck vieler Menschen, damit die Politik Leerstände einfacher zugänglich macht, durch Zwischennutzungen etc. Sowas klappt auch für arme Städte wie die Stadt Leipzig seit einigen Jahren beweist.


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