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11. Dezember 2014 (Aus den Städten)

Hausbesetzungen: Frei und sozial

Umsonstläden, Gemeinschaftsgärten und Food-Sharing … in den Großstädten wächst ein neues Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Gemeinschaft. Zahlreiche Vereine und Initiativen arbeiten an partizipativen, basisdemokratischen Ideen von einer lebenswerteren und weniger konsumorientierten Gemeinschaft. Um diese Freiräume zu gestalten, setzen einige der Aktivisten auch auf das Mittel der Besetzung von Leerständen. Sie führen damit eine alte Tradition fort.

Ende August dieses Jahres besetzte eine Gruppe von Aktivisten in Dortmund die seit Jahren leerstehende und entwidmete Albertus-Magnus-Kirche in der Enscheder Straße und rief das Soziale Zentrum Avanti ins Leben. Bereits seit etwa 2010 hatte es in verschiedenen Städten des Ruhrgebiets eine ganze Reihe von Leerstandsbesetzungen gegeben. Mit ähnlicher Motivation, und doch unabhängig voneinander, versuchte man neue kulturelle Freiräume zu schaffen. So eignete sich die Gruppe „Du it yourself“ 2011 die Räumlichkeit einer leerstehenden Hauptschule in Duisburg-Laar an. 2013 besetzte die Gruppe „Aktion für Freiräume in Essen“ (A.F.F.E.) ebenfalls eine ungenutzte Hauptschule in Essen. Alle Aktionen endeten recht schnell in der Räumung der Gebäude.

Unkommerziell

Anders als bei zahlreichen Besetzungen in den 1980er-Jahren geht es heutzutage nicht in erster Linie um die Nutzung von Wohnraum. Der ist im Ruhrgebiet ausreichend und verhältnismäßig günstig vorhanden. Die neue Generation von Aktivisten sieht das Defizit eher im Bereich von Freiräumen für Kultur, Politik und Begegnung. „Wir wollen keine Angebote, sondern einen selbstverwalteten Raum, in dem wir selber entscheiden können, was wir erreichen wollen und wie wir es verwirklichen. Wir wollen Räume, die nicht der Willkür der Eigentümerinteressen unterworfen sind, die nicht von der Gnade der Stadt oder dem Zahlen utopischer Mieten abhängig sind. Nur so können wir unser Zentrum unkommerziell nutzbar machen“, beschreibt ein Avanti-Aktivist die Ziele der Initiative. Ähnlich wie beispielsweise die Recht-auf-Stadt-Ruhr-Gruppe wollen sie einen Kulturort schaffen, der ohne Vermarktungsdruck funktioniert und an dem die Menschen des Viertels zusammenkommen können. „Die Gesellschaft hängt an unsere Bedürfnisse ein Preisschild und stellt Bedingungen für die Nutzung von Immobilien. Wir wollen uns mit diesem Ausschluss von der selbstbestimmten Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens nicht abfinden. Wir beanspruchen den Raum, der vorhanden ist, aber nicht sinnvoll genutzt wird“, heißt es aus den Reihen von Avanti.

Tradition

Auch wenn diese Forderungen auf den ersten Blick radikal und kaum umsetzbar erscheinen, neu sind sie nicht. Mit ähnlichen Zielen entstanden bereits in den 1980er-Jahren eine ganze Reihe von Kulturzentren, die heutzutage etablierte Akteure im Kulturbereich des Reviers sind: der Bahnhof Langendreer in Bochum, die Zeche Carl in Essen oder das Druckluft in Oberhausen. Wenn diese Objekte auch nicht alle direkt aus einer Besetzung hervorgingen, hatten sie doch eine große Schnittmenge zur Hausbesetzerszene, oder eine Vorgeschichte von Besetzungen. Rolf Stein, seit den Anfangstagen im Bahnhof Langendreer aktiv, erinnert sich: „Das war damals eine sehr politische Zeit. Ob Nato-Doppelbeschluss oder Wackersdorf – wir mischten uns in vieles ein. In Bochum gab es Anfang der 1980er-Jahre eine große Bewegung von Menschen, die sich ein autonomes Zentrum wünschten. Und so kam es innerhalb von kurzer Zeit zu vier Besetzungen von leerstehenden Fabriken, die allesamt in Räumungen endeten. Ein Kurswechsel durch die Gründung eines gemeinnützigen Vereins, der als juristische Person auftreten konnte sowie die Entwicklung eines Nutzungs- und Finanzierungskonzepts brachte dann den Erfolg für das soziokulturelle Zentrum Bahnhof Langendreer.“ Im Laufe der Jahre näherten sich Bahnhofs-Aktive und Lokalpolitik einander an. „Heute gibt es eine gute Zusammenarbeit mit Stadt, Verwaltung und allen demokratischen Parteien“, sagt Rolf Stein. „Auch wenn man nicht immer einer Meinung ist, so trifft man sich respektvoll und auf Augenhöhe.“ Viele Prinzipien der wilden Anfangszeit haben es dennoch bis in die Gegenwart geschafft: Der Einheitslohn, die strikte antifaschistische Haltung sowie basisdemokratische Strukturen.

So zahm ist man ist man in Dortmund bei Avanti noch nicht. Trotzdem trafen sich politische Entscheider und Aktivisten nach der Besetzung der Albertus-Magnus-Kirche erstmals an einem runden Tisch. Die Initiative stellte ihre Pläne für ein soziales Zentrum vor und erreichte, dass der Finanzausschuss die Stadtverwaltung beauftragte, nach geeigneten Objekten zu suchen. Sollte eine Immobilie gefunden werden, ist Avanti am Zug und muss ein tragbares Betriebskonzept erarbeiten, damit zumindest die laufenden Betriebskosten selbst erwirtschaftet werden können.

Basisdemokratie, Konsumkritik und das Verlassen eingetretener Pfade: Viele Ideen der Hausbesetzerszene aus den frühen 1980er-Jahren erleben ein Revival in jungen Initiativen wie A.F.F.E. oder Avanti. Anders als noch vor ein paar Jahren treffen die Forderungen der Aktivisten auf Zuspruch und Sympathie in weiten Teilen der Öffentlichkeit. Mit diesem Rückenwind bleibt ein neues autonomes, soziales Zentrum in Dortmund nicht mehr länger eine ungehörte Forderung, sondern wird zu einer Idee, deren Umsetzung ein wichtiger Schritt für das kulturelle Leben in Dortmund wäre. (Mirko Kussin / report age)


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